Hugo Schuchardt an Edward Spencer Dodgson (070-23)

von Hugo Schuchardt

an Edward Spencer Dodgson

Graz

14. 03. 1893

language Deutsch

Schlagwörter: Platzmann, Julius Spanien

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Edward Spencer Dodgson (070-23). Graz, 14. 03. 1893. Hrsg. von Bernhard Hurch (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3271, abgerufen am 18. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3271.


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Graz 14 März 93.

Lieber Herr Dodgson,

Gestatten Sie mir dass ich zum letzten Male Bekehrungsversuche an Ihnen mache. Die bisherigen sind an Ihnen abgeglitten als ob Sie mit einem diamantenen Panzer gewappnet wären. Sie haben sich auch gar nicht bemüht mich zu widerlegen, sondern sich dann und wann zu gewissen ganz allgemein gehaltenen subjektiven Aeusserungen herbeigelassen über die eine Diskussion unmöglich ist. Ich gestehe Ihnen mit der Rücksichtslosigkeit die Sie an mir schon nicht mehr befremden wird dass ich sehr gern ein Sulfonal gegen Ihre Hallucinationen – ich kann es wirklich nicht anders nennen – entdecken möchte. Wenn ich im Ehstnischen [sic] emaste, “Stiefmutter“ lerne, so wird mir vielleicht bask. emazte, “Frau“ einfallen; aber sicherlich auch sofort wieder – verzeihen Sie den neuartigen Gebrauch des Wortes – herausfallen. Ebenso wird es mir mit Pindaros - |2|pindarra u.s.w. ergehen. Solche Ähnlichkeiten besagen doch gar Nichts; wenn man die Sprachen der Welt durchgeht, findet man ihrer zu Hunderten und Tausenden, und ganz natürlich – denn die Zahl der Lautverbindungen ist eine begränzte. Gegen den Sirenenlockruf des Gleichklangs wollte sich auch einst mein Freund Julius Platzmann nicht die Ohren verstopfen; ich hatte mit ihm ebenso viel Mühe wie mit Ihnen – er hat aber schliesslich doch zum Glück sein Etymologisiren aufgegeben und sich wie Sie wissen werden, auf den Neudruck älterer amerikanischer Grammatiken verlegt. Wenn wir die Geschichte der Sprachen zum Theil nicht weit zurückverfolgen können, wenn wir über die frühen Wanderungen der Völker schlecht unterrichtet sind, so gibt uns das noch kein |3| Recht diese dunkeln Gebiete zum Tummelplatz unserer wilden Phantasieen zu machen. Übrigens ist die Sache durchaus nicht so schlimm wie Sie sie darstellen. Wenn Sie sich die Mühe geben wollten, jeden einzelnen Fall mit den uns zu Gebote stehenden Hülfsmitteln zu prüfen, so würde sich Ihnen sehr oft ergeben dass die Wortähnlichkeit eine durchaus trügerische ist. Aber ohne dass wir nur einen einzigen sichern Anhaltspunkt dafür besitzen, dass die Iberer ausserhalb Spaniens und Südfrankreichs existirt haben, darf man doch nicht einmal auf den Gedanken solcher Zusammenstellungen kommen wie sie bei Ihnen etwas Alltägliches sind. Soviel was das Wesen Ihrer Sprachbetrachtung anlangt. Und nun was die Form Ihrer Darstellung anlangt. Immer und immer wieder die specimina vanae doctrinae|4| und auch vanae pietatis! In der dritten Korrektur noch ein in majorem dei gloriam hinzuzufügen! Was soll die kornische Bibelstelle? Wenn Sie das N.T. citiren, warum nicht immer in der Sprache in der Sie gerade schreiben, oder in der Ursprache oder der der Vulgata? Was hat das für einen Sinn dass Sie bald kornisch bald gothisch, morgen vielleicht ainó citiren? What do you read, Mylord?Words, words, words! Und das griechische Citat verstehe ich nun gar nicht; sollte es ein inhaltsloses Wortspiel mit Basken vorstellen, so würde ich Ihnen zurufen müssen τίs µᾶςἐβάσ κανε; Und Sie wundern sich noch dass Sie bei den Männer[n] der Wissenschaft nicht den Anklang finden welchen Sie wünschen. – Ich möchte Ihnen nützen wie Sie mir nützen; aber ich sehe nicht wie mir das möglich ist. Denn auf Ihre etymologischen Phantasieen eingehen, das heisst nicht Ihnen nützen.

Mit bestem Grusse

Ihr ergebenster

H. Schuchardt

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Azkue Biblioteka (Euskaltzaindia). (Sig. 23)