Meyer Kayserling an Hugo Schuchardt (3-05491)
von Meyer Kayserling
an Hugo Schuchardt
16. 11. 1879
Deutsch
Schlagwörter: Biographisches Sprachkontakt (allgemein) Publikationsversand Publikationsvorhaben Judeo-Spanisch Hebräisch Spanisch Portugiesisch Mussafia, Adolf Portugal Lichem, Klaus/Würdinger, Wolfgang (2015)
Zitiervorschlag: Meyer Kayserling an Hugo Schuchardt (3-05491). Budapest, 16. 11. 1879. Hrsg. von Johannes Mücke (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3236, abgerufen am 15. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3236.
Budapest, d. 16. Novbr. 1879
Verzeihen Sie, hochgeehrter Herr, daß ich Ihr freundliches Schreiben vom 1. dm nicht früher beantwortet habe; Die mannigfachen Berufsbeschäftigungen und ein mehrtägiges Unwohlsein lassen mich erst heute dazu kommen, Ihnen für Ihre gesch. Zuschrift verbindlichst zu danken.
Es freut mich daß Sie das Ladino bzw. das Jüdisch-Spanische einer eingehenden Untersuchung unterziehen wollen; über dasselbe Thema sprach bereits vor mehreren Jahren H Prof. Mussaphia1 in Wien mit mir und dachte ich selbst daran, diese Arbeit einmal aufzunehmen[.] Soweit ich die jüdisch-spanische Literatur kenne, unterscheidet sich das Spanische welches die Juden in Holland, in der Türkei u. a. schreiben, sehr wenig von dem Idiom, wie es in Castilien üblich war. Als einen wichtigen Beitrag zur span. Sprache und Literatur betrachte ich die in dem hebräisch-rabbinisch geschriebenen Rechtsgutachten aus dem 13.-18. Jahrh. vorkommenden spanischen Einschiebsel. Es kommen in diesen Rechtsgutachten, und davon gibt es sehr viele, eine Masse spanischer Sätze vor, welche sich über allgemeine und örtliche Verhältnisse aussprechen, und |2| uns einen Einblick in die Entwicklung des Spanischen zunächst unter den Juden verschaffen, Ich beabsichtige alles in den Rechtsgutachten enthaltene Spanisch, nicht allein die zusammenhängenden Sätze, sondern auch die kürzeren Wörter zu sammeln dh zu transkribiren, zu übersetzen und zu erklären. Die Arbeit ist allerdings nicht leicht aber sehr interessant – daß man für derartige Schriften so schwer einen Verleger findet!2
Daß die Juden in der Türkei das Spanische mit portugiesischer Aussprache reden, dürfte meiner Arbeit nach theils auf ihrem Aufenthalt in Portugal, theils auf ihrem Umgang mit den aus Portugal eingewanderten Juden zurückzuführen sein, ich habe die türkischen Juden nie so Spagnolisch reden hören, weiß also auch nicht, in wie weit sie das eigentliche Spanisch corrumpirt haben. Wie bei den deutschen Juden wird es auch bei den türkischen an Jargon nicht fehlen.
Das Gemeindestatut vom Jahre 1432 wurde von mir in Uebersetzung mit Einleitung als "ein Beitrag zu den Rechts-Rabbinats- und Gemeinde-Verhältnissen der Juden in Spanien“ 1869 im Jahrbuch für die Geschichte der Juden IV, S. 263-334 veröffentlicht. Der span. text konnte aus Rücksichten für das größere Publikum nicht mit abge|3|druckt werden. Zu meinem bedauern ließ ich keine Abzüge davon veranstalten; vielleicht kann ich ein Exemplar des Jahrbuchs erhalten, dan̄ mache ich mir gern das Vergnügen, es Ihnen zu schicken.
Unter Kreuzband schickte ich Ihnen gestern meine „Geschichte der Juden in Portugal“, die vielleicht einiges Interesse für Sie haben dürfte.3
Die Biblioteca española judaica4 hat voraussichtlich keinen großen Leserkreis; sollte sich ein Verleger dafür finden, so überlasse ich ihm bzw Ihnen die Verlagsbedingungen. Zur Vollendung müßte ich mich noch c 14 Tage in Wien oder München aufhalten, um die Nachträge etc zu sammeln.
Genehmigen Sie, hochgeehrter Herr, die Versicherung meiner ausgezeichneten Hochachtung.
Ihr ganz ergebener
Dr
Kayserling
1 Möglicherweise ist der Romanist Adolf Mussafia gemeint (1835-1905), mit dem Schuchardt befreundet war und in regem Briefkontakt stand (vgl. die Edition des Briefwechsels von Lichem & Würdinger 2015). Mussafia entstammte einer sephardischen Familie aus dem heutigen Split, sein Vater war Rabbiner der dortigen Gemeinde (vgl. Tolomeo 2012 ).
2 Kayserling (1869) , vgl. hier Brief 1-05490.
3 Die Geschichte der Juden in Portugal (Kayserling (1867) erschien als zweiter Teil der Geschichte der Juden in Spanien und Portugal.
4 Kayserling (1890) , vgl. hier Brief 1-05490.