Hugo Schuchardt an Meyer Kayserling (2-894-1)
von Hugo Schuchardt
30. 10. 1879
Deutsch
Schlagwörter: Reisen Biographisches Druckwesen Verlage Publikationsvorhaben Phonetik Literaturbeschaffung Kaiserliche und Königliche Hof-Bibliothek (Wien) Phonologie Hofbibliothek Judeo-Spanisch
Hebräisch
Portugiesisch Jellinek, Adolf Schuchardt, Hugo (1881) Steingress, Gerhard (1996)
Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Meyer Kayserling (2-894-1). Graz, 30. 10. 1879. Hrsg. von Johannes Mücke (2016). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3235, abgerufen am 28. 11. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3235.
Graz 30 Okt. 79
Hochgeehrter Herr!
Nachdem mir Herr Dr. Jellinek sowohl von Ihren Plänen gesprochen, als mich darauf aufmerksam gemacht hatte, wie nützlich Sie mir bei einer von mir beabsichtigten Prüfung des jüdisch-spanischen Idioms sein könnten (Ihre litterarischen Leistungen auf diesem Gebiete waren mir übrigens schon rühmlichst bekannt), würde ich längst an Sie geschrieben haben; aber die Beschäftigungen, welche mich nach einer 8 monatlichen Abwesenheit von Graz1 und zu Beginn des Semesters in Anspruch nahmen, liessen Sie mir zuvorkommen.
Wie ich vernehme suchen Sie einen Verleger für Ihre Biblioteca española judaica. Wenn Sie mir angeben wollen, welche Bedingungen Sie dieserhalb dem |2| Verleger zu stellen denken, so werde ich sehr gern bereit sein, mich nach einer solchen umzusehen. Ebenso würde ich – aber doch wohl in Ihrem Namen? – Sorge für die Veröffentlichung jenes Gemeindestatuts vom J. 1432 tragen.2 Wenn ich irgend Etwas hinzuzufügen oder zu redigiren hätte, so würde es mir allerdings lieb sein, die Kopie der hebräischen Schrift zu haben, da vielleicht in Bezug auf die Transkriptionsweise verschiedene Praxis besteht und die Transkription in phonetischer Beziehung ja das Wichtigste ist.
Ich hege wie schon angedeutet den Plan, das Ladino, die Sprache der spanischen Juden, einer eingehenden Untersuchung zu unterziehen, um zu sehen, wie viel Alterthümliches in Bezug auf Aussprache, Formen, und Wörter sich hier erhalten hat. Natürlich kann ich nicht alle Bücher, die in diesem Idiom ge-|3|druckt ist, durchlesen; vielleicht haben Sie die Güte, mir diejenigen zu bezeichnen, welche in linguistischer Hinsicht von besonderem Interesse sind. Ich habe in Wien mich mit einem spanischen Juden unterhalten und dabei sind mir eine Menge höchst merkwürdiger Dinge aufgefallen. Z. B. habe ich da nuis für nos gehört, wie man es hie und da noch in dem Munde des niedern Volkes von Andalusien hört. Vielleicht werden solche Vulgarismen in den Büchern vermieden; und da wäre es denn höchst erwünscht, wenn man von irgend einem gebildeten spanischen Juden ein Verzeichniss von dergleichen erhalten könnte. Ich werde auch nach Tetuan in Marokko an einen Juden schreiben, in dessen Haus ich wohnte, ob er etwa Lust und Zeit hat, mich über die Differenzen zwischen dem heutigen Spanisch und dem Jüdisch-Spanischen weiter aufzuklären.3 Wir hatten schon damals über |4| diesen Gegenstand verhandelt und ich bei ihm ein gewisses Verständniss gefunden. Bei ihm hatte ich auch das alte Testament, hebr. und jüd-span. (zu Smyrna gedruckt), gesehen;4 er hatte es mir für 8 Duros überlassen wollen, ich konnte es aber auf der Reise nicht wohl mit mir herumschleppen. Jetzt würde es mir sehr lieb sein, es zu haben. Wie kann ich mir wohl am Besten Bücher dieser Art verschaffen? Meine Nachfragen in Wien haben keinen Erfolg gehabt. Dr. Jellinek hat mir einige Bücher geliehen und wird hoffentlich mir weitere leihen. Die k. Hofbibliothek scheint nichts von dieser Litteratur zu besitzen.
Können Sie mir etwa noch sagen, wie es kommt, dass die spanischen Juden (wenigstens der Türkei, bei den marokkanischen habe ich es nicht bemerkt) das Spanisch mit portugiesischer Aussprache reden? Ich meine damit z. B. nicht die Aussprache des j in dejas, dijs wie franz. ch (die war ja auch altspanisch), aber wohl die von o = u und von s = sch z. B. vamusch = vamos.
Genehmigen Sie den Ausdruck meiner ausgezeichneten Hochachtung
Ihr ergebenster
H. Schuchardt
1 Schuchardt hielt sich 1879 längere Zeit in Spanien auf. Seine während dieser Reise durchgeführten Studien mündeten unter anderem in seinem umfangreichen Aufsatz 'Die Cantes Flamencos' ( Schuchardt 1881 [= HSA 125]).
2 Vgl. dazu die Fußnoten zu (hier) Brief 1-05490 von Kayserling an Schuchardt.
3 Die Person konnte nicht ermittelt werden. Im Nachlass Schuchardts liegen keine Briefe aus Tetuan (heute: Tétouan) vor. Ein Brief von Salvador Calderon y Arana (1851-1911) an Schuchardt vom 11.01.1880 (Nr. 04-01499) gibt noch einen weiteren Hinweis darauf, dass Schuchardt sich während seiner Spanienreise auch im marrokanischen Tétouan aufhielt (vgl. Steingress 1996, online 2009b).
4 Konnte im Detail nicht ermittelt werden.
Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der National Library of Israel, Jerusalem. (Sig. 894)