Hugo Schuchardt an Edward Spencer Dodgson (052-17)

von Hugo Schuchardt

an Edward Spencer Dodgson

Graz

29. 01. 1893

language Deutsch

Schlagwörter: language Baskischlanguage Lateinlanguage Provenzalisch Eys, Willem Jan van Meyer, Paul Larrieu, Jean-Félix

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Edward Spencer Dodgson (052-17). Graz, 29. 01. 1893. Hrsg. von Bernhard Hurch (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.3129, abgerufen am 24. 03. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.3129.


|1|

Graz 29 Jänner '93

Lieber Herr Dodgson,

Ein solcher Prospekt wie ich ihn Ihnen schickte, hat keinen andern Zweck als den auf das demnächst Erscheinende hinzuweisen (hinterher kann er sehr wohl zur Orientirung dienen) und vorkommenden Falles die Priorität zu wahren. Wenn Sie sagen: “er ist Kaviar fürs Volk“, so stimme ich Ihnen durchaus bei, und wenn Sie von der Abhandlung selbst das Gleiche sagen werden, so werde ich Ihnen ebensowenig widersprechen. Wir befinden uns nämlich in einer sehr starken Meinungsverschiedenheit, in Folge deren Sie auf meine Rechnung zu setzen geneigt sind was nur auf Rechnung des Baskischen kommt. Es liegt mir daran schon jetzt dies festzustellen und soviel an mir liegt, zum Ausgleich zwischen unsern Meinungen beizutragen.

|2|

Sie sagen vom Baskischen: it deserves to be made popular. Ich gestehe, ich sehe den Grund davon nicht ein; bitte haben Sie die Güte mich darüber zu unterrichten. Was ich aber einzusehen glaube ist dass es nicht populär gemacht werdenkann. Wohl aber verdient es, und zwar im allerhöchsten Grade, wissenschaftliche Durchforschung. Nun ist aber das baskische Verbum eines der schwierigsten und verwickeltsten Dinge die es für die Sprachwissenschaft gibt. Erstens ist die Zahl der Formen mit denen man zu thun hat, eine ausserordentlich grosse; ich habe alle die mir in gedruckten Quellen zu Gebote standen (natürlich konnte ich die einzelnen Texte nicht darauf hin durchlesen) zu berücksichtigen mich bemüht; es sind gewiss nicht unter 50,000. Ich habe natürlich keine Mundart ausgeschlossen wie das van Eys in ganz willkürlicher Weise thut. Zweitens haben bei der Bildung der einzelnen Formen so verschiedenartige Faktoren in so verschiedener |3| Richtung gewirkt dass es nicht leicht ist auch nur einige Uebersichtlichkeit zu gewinnen. Ich habe mich bestrebt möglichst klar zu sein; aber ich bin kein Taschenspieler und kein Fälscher, ich kann aus komplizirten Thatsachen keine einfache machen. Ich bin dem Baskischen auf den verschlungenen Pfaden die es einschlägt, mit der Gewissenhaftigkeit gefolgt, deren ich fähig bin. Man darf zwei sehr verschiedene Dinge nicht miteinander verwechseln: klar und verständlich. Es kann etwas absolut klar sein und doch sehr schwer verständlich; ich könnte Ihnen dafür aus allen Wissenschaften Beispiele anführen. Denken Sie nur vor Allem an gewisse mathematische Berechnungen. Missverstehen Sie mich nicht; ich will durchaus nicht Ihrer Intelligenz zu nahe treten, wenn Sie meine Auseinandersetzungen unintelligible finden sollten. Ich würde nur eben sagen dass Sie sich in den sprachgeschichtlichen Methoden nicht haben üben wollen.

|4|

Die Angelegenheit mit edin verstehe ich nicht. Wenn es sich um das Vorkommen von edin als Partizip handelt, so weiss auch ich davon Nichts. Aber von welchem andern Stamme sollen denn nadien, nadi usw. gebildet sein, als von *di, und wie würde dazu das Partizip wohl lauten? Nicht *edin?

Wie soll denn lat.uti oder vitium vom bask.ohi kommen? Wie wäre das lautlich möglich? Woher das t? Vor Allem aber, ich kenne kein einziges lateinisches Wort das mit Sicherheit aus dem Baskischen zu erklären wäre.

Bask.oske, ozke ist Lehnwort aus dem Romanischen: gask. osque, sonst südfranz. osco u.s.w. franz. hoche u.s.w. (kommt auch im Keltischen vor), das mit Recht von absecare hergeleitet wird.

Bask.salbai ist > altprov.salvaje, salvatje, langued. salbage gask. saubadge u.s.w. > lat.silvaticus. Wo und wann soll das P. Meyer geleugnet haben? Das wird wohl ein Missverständniss sein.

Wieviel verlangt Herr Larrieu für sein Exemplar der 1757erImitacionia?

Dieser Brief widerspricht Ihnen in vielen Punkten; Sie wissen, ich kann nicht anders als aufrichtig sein, wenn es sich um die Wissenschaft handelt. In andern Fällen braucht man vielleicht seine Meinung nicht so rücksichtslos zu äussern.

Mit besten Grüssen

Ihr

H S

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Azkue Biblioteka (Euskaltzaindia). (Sig. 17)