Hans Georg Conon von der Gabelentz an Hugo Schuchardt (03-03206)

von Hans Georg Conon von der Gabelentz

an Hugo Schuchardt

Leipzig

23. 12. 1885

language Deutsch

Schlagwörter: language Chinesische Sprachenlanguage Niederländischbasierte Kreolsprachenlanguage Pidgins (Englisch)language Portugiesischbasierte Kreolsprache (Macao) Leland, Charles Godfrey Schuchardt, Hugo (1884) Schuchardt, Hugo (1883) Steiner, Elisabeth (2010)

Zitiervorschlag: Hans Georg Conon von der Gabelentz an Hugo Schuchardt (03-03206). Leipzig, 23. 12. 1885. Hrsg. von Bernhard Hurch und Katrin Purgay (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2974, abgerufen am 12. 09. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2974.


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Leipzig, d. 23. Dezember 1885.

Verehrtester Herr College!

Pidgin-Englisch habe ich vor meiner Reise vor Jahren praktisch gelernt und glaube Leland’s Urtheil bestätigen zu müssen: fast durchweg englische Wörter, die Grammatik (in diesem Falle = Syntax) wesentlich chinesisch.1 Die chin. Wortstellung gleicht in den meisten Dingen der englischen, aber Sätze wie: my no savee, ich weiß nicht, sind chinesisch, nicht englisch gebaut.2 Das Numerativ piecy, Stück (one piecy man) ist gleichfalls dem chines. nachgebildet: yih kó žîn = ein Mensch. So ist auch die Neigung zu Parallelismus und Antithese ächt chinesisch: can see can savee, no can see no can savee = Kann (ich) sehen, so kann ich wissen u.s.w. – Desgleichen das öftere Weglassen des pron. pers. im Subjektscasus: no got shame – facee? Schämst du dich nicht?

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Für das Misch-Portugiesische von Macao habe auch ich keine Quellen und weiß nicht ob dergleichen existieren. An direkten Beziehungen dorthin fehlt es mir, und ich würde Ihnen vorschlagen, Sich etwa nach Hongkong oder Canton zu wenden, sei es an Ihren Consul, sei es an Baron von Moellendorff, German Consulate Hongkong, einen Mann von mir bekannter Liebenswürdigkeit und wissenschaftlichem Interesse.3 werde ich nächster Tage in meiner Bibliothek (Poschwitz bei Altenburg) nachsuchen. Für das Holländisch-Creolische sind mir folgende Hülfsmittel bekannt:

Die nieuwe Testament, Barby 1802, 8°.4

Die nieuwe Testament, Barby 1802, 8°.5

Die nywe Testament. Copenhagen 1818. 8° (anderer Dialekt),6

ferner für Neger-Englisch:

Da njoe Testament, Bautzen 1846, 8°.7

Meinen Glückwunsch dazu, daß Sie Sich dieser Stiefkinder der Sprachwissenschaft annehmen.

In vorzüglichster Hochachtung

Ihr ergebenster

GvdGabelentz.


1 Leland (1876 : 1).

2 Diese und die folgenden Aussagen von Gabelentz deuten wieder eindeutig darauf hin, daß auch diesem Schreiben ein Brief Schuchardts mit unter anderem sehr konkreten Fragestellungen vorausgegangen sein muß. In den Altenburger Beständen ist ein hier einzuordnendes Schreiben aber nicht mehr zu finden.

3 Eine Korrespondenz zwischen Moellendorff und Schuchardt ist im Grazer Nachlaß nicht nachzuweisen.

4 Fabel von Louis Héry, 1802-1856, dem Verfasser der ersten Texte im Kreol von Réunion. Schuchardt hatte spätestens im Dezember 1881 von dem wie die Familie Gabelentz aus Altenburg stammenden Ethnologen Otto Kersten (1839-1900) von der Fabel erfahren: „ich besaß früher allerdings ein kleines Gedicht „Le Requin, fable en vers creoles“ im Patois der Insel Réunion [...] allein ich habe dasselbe schon vor mindestens 10 Jahren an einen sprachkundigen Freund (an den verstorbenen Hr. v. d. Gabelentz in Altenburg??) verschenkt.“ (Brief Kerstens vom 7. Dezember 1881, Bibl.Nr. 05531). Diese Verbindung Schuchardt – Kersten – Gabelentz ist ein schönes Beispiel für die enge Vernetzung der Strukturen. Offen bleibt jedoch, warum Georg von der Gabelentz in seiner Bibliothek bzw. der seines Vaters danach suchen sollte, zumal Schuchardt von Charles Baissac eine Kopie der Fabel zusammen mit einem Brief vom 11. Juni 1882 erhalten hatte und danach auch die Neuauflage der Fabeln Hérys ( Héry 1883 ), in der Le Requin abgedruckt ist, rezensiert hatte ( Schuchardt 1884). Vgl. dazu auch Schuchardt (1883) sowie die vollständige Veröffentlichung der Briefe Baissacs an Schuchardt in Steiner (2010).

5 Die Nieuwe Testament na Creol Taal. Barby, 1802.

6 Die nywe Testament van ons Heer Jesus Christus ka set over in die Creols Tael en ka giev na die Ligt tot Dienst van die Deen Mission en America. 2. Ausg. Copenhagen: Schultz Erben, 1818.

7 Dabei handelt es sich um die von W. Treu überarbeitete 2. Auflage des 1829 erschienen Neuen Testaments. Letztere rief in Kirchenkreisen große Widerstände hervor, weil es die erste kreolische Bibelübersetzung war und damit das Wort des Herrn nicht in einer europäischen Kultursprache vermittelt wurde.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 03206)