Antonio Ive an Hugo Schuchardt (08-04935)
von Antonio Ive
an Hugo Schuchardt
05. 10. 1898
Deutsch
Schlagwörter: Publikationsversand Karl Fromme k.u.k. Hofdruckerei Publikationswesen Autorenexemplar Sachwortforschung Spinnen und Weben Universität Graz Universitätsangelegenheiten k. u. k. Akademie der Wissenschaften in Wien Verlag Karl J. Trübner Österreichisches Museum für Volkskunde Istriotisch Wolf, Michaela (1993) Ive, Antonio (1900) Ive, Antonio (1893)
Zitiervorschlag: Antonio Ive an Hugo Schuchardt (08-04935). Rovinj, 05. 10. 1898. Hrsg. von Birgit Dorn, Johannes Mücke und Verena Schwägerl-Melchior (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2896, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2896.
Printedition: Dorn, Birgit; Mücke, Johannes; Schwägerl-Melchior, Verena (2016): 'Ihre Angelegenheit in Bezug auf d[as] Spinnen werde ich nicht aus den Augen lassen' – Briefe Antonio Ives an Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 85., S. 165-256. http://unipub.uni-graz.at/gls/periodical/pageview/1572604.
Rovigno 5 Oct. 1898.1
Hochgeehrter Herr Professor!
Gestern Abends von Pola zurückgekommen, fand ich hier Ihre freundl. Schreiben, auf die ich mich beeile, gleich zu antworten. Ich habe dem Fromme2 in Wien schon geschrieben, er möge Ihnen nach Gotha Alles senden, was von meiner Arbeit bis jetzt gesetzt worden ist; was weiter die Zahl der Exemplare betrifft, die ich dem Verleger anbieten kann, so kann diese zwischen 400 u. 420 schwanken. Sie wissen schon, dass ich verpflichtet bin, 20 Exempl. dem Landesausschuss in Parenzo3 u. 10 der Akademie in Wien vorzulegen. Auch brauche ich wenigstens 50 für mich. Es würde mir sehr daran gelegen sein, wenn der Trübner sich mit der ersten Zahl zufriedenstellen würde. Selbstverständlich werde ich meinerseits mich verpflichten, keinen anderen Buchhändlern zum Verkauf abzutreten. Das Werk würde sehr wahrscheinlich im November druckfertig sein. |2| Nur wegen meiner Krankheit ist jetzt eine Verzögerung eingetreten. Gesetzt ist aber Alles bis auf die 2 letzten Boegen (14 u. 15.), die nur die Textproben enthalten, deren Druck nicht lange auf sich wird warten lassen.
Ich bin froh, dass diese Verspätung eingetreten ist, da ich Gelegenheit gehabt habe, manches an Ort und Stelle zu vergleichen und zu corrigieren. In Pola besonders fand ich diesmal einige neue und ziemlich reine Quellen für die jetzt fast verschollene Alte Mundart:4 So traf ich dort 3 Weiber (zwischen 78 u 83 Jahre alt), welche zu den altpolesanischen Familien gehörten, die mir eine reiche Fundgrube eröffneten. Neben grúve5 für 'rughe', kam mir auch dort vor: rapáda6 für 'donna di pelle raggrinzata, per 'iscrofole'7, od altro'. Neben lámpido = sereno fand ich auch dort źlánguido8 (so wie in Valle) für chiaro (detto di liquido); reganísa9 für Coperta |3| (eine solche bekam ich daselbst auch zur Anschauung) rozza di lana quadrigliata, che si tesseva dai contadini nei villaggi e che gli Slavi sogliono portare sulle spalle. In Pola selbst gebrauchte man diese Decke für das rohe Brod. Ebendaselbst fand ich das Verb inberlárse10 (welches nebenbei gesagt auch sonst anderswo in Istrien vorkommt) für 'piegarsi del legno verde', zbáligo für Sprung neben passo "Schritt'; – sentinár für 'rumoreggiare',11rogóle12 für 'roveto', rastiàr (Subst. rastia)13 für die 'Springfluth'. (Zu Vrgl. rov.14rastéia, rastiáso. fus. ristiáso, sis. rasëá); ğaníko15 für 'freddo intenso', was allgemein istrisch ist. – In Valle wurde mir unter Anderm das Wort '[…] iǵiliṣe16 für "acqua che comincia a ghiacciare" angegeben. Während auch daselbst: l'akua ṣ'inğalíṣe dal fre'do gesagt wird. In Dignano vernahm ich das Wort "gírido" (methath. von rígido) gebraucht für g͑eniko. Grúvio17 wird gewöhnlich für "rauh" von corpi solidi, rúspio von liquidi gebraucht. So hörte ich eben bei mir zu Hause sto pan zi grúvio; sto veli zi rúspio. Auch wurde mir von einem Priester |4| in Lissano (einem gewissen S. Monti) die für Sie wichtige Mittheilung gemacht, dass in einem Dorfe (ich glaube Marzana) in der Nähe von Pola einst die Reben mit[tels] 'ruscus aculeatus',18 statt Weiden gebunden wurden. Übrigens hat aber obgenannter Herr mir versprochen, die ganze Geschichte weiter zu erforschen und mir eventuell darüber zu berichten. Ihre Angelegenheit in Bezug auf d. Spinnen werde ich nicht aus den Augen lassen, so bald es mir meine Gesundheit gestatten wird. 19Vorläufig geht es mir, wenn auch nicht ganz gut, doch etwas besser. Ich muss mich aber noch immer jeder geistigen Beschäftigung enthalten, was mich wirklich kränkt. Nochmals danke ich Ihnen für das mir bewahrte Wohlwollen, und die Gratulation zur Gehaltserhöhung; die aber bei mir wenigstens noch nicht in Erfüllung gegangen ist. Ich habe den Monat nur 3s.55Kr mehr erhalten! Keine erfreuliche Erhöhung!
Leben Sie recht recht wohl und empfangen Sie die Gefühle der größten Hochachtung und unwandelbaren Dankes von Seite Ihres ergebensten
A Ive
1 Der vorliegende Brief wurde im Nachlass Schuchardts mit dem Datum 05.10.1878 inventarisiert ( Wolf 1993: 218). Aufgrund der inhaltlichen Bezüge konnte die Datierung korrigiert und infolgedessen der Brief chronologisch an dieser Stelle in den Briefwechsel eingeordnet werden.
2 Ives Studie I Dialetti Ladino-Veneti dell'Istria (Ive 1900) wurde bei Karl Fromme, "K. u. K. Hofdruckerei" in Wien mit Unterstützung der Wiener Akademie der Wissenschaften gedruckt und bei Trübner verlegt.
3 Italienischer Name der istrischen Stadt Poreč.
4 Ive bezieht sich auf die unter dem Oberbegriff des Istriotischen zusammengefassten heute stark bedrohten italoromanischen Sprachformen in Istrien, welche nur noch von wenigen Sprecherinnen und Sprechern verwendet werden.
5 Vermutlich zu grúvio (s.u.).
6 Vgl. den Eintrag für rápa in Ive (1900: 161): "rápa ruga; rapáda rugosa; se da rubida; cfr. l'aat. hruf, Schuchardt, Rom. Etym. I 25; Diez, Et. Wrtb. I3 360; cfr. anche vall. rapáda, fas. grapá gropá rugoso."
7 Vgl. ital. iscrofola (z.B. bei Panizza 1821: 21; Zecchinelli 1835: 43), das neben scrofola gebraucht wird (lat. scrofula) ist; dt. Skrofulose, eine Form der Hauttuberkolose.
8 Vgl. Ive (1900: 151-152), Nr. 11-12.: "e l'istriano-comune lánpido acc. a lánguido źlánguido, d. di vino chiaretto".
9 Vgl. Ive (1900: 153), Nr. 59: "reganíṣa s. di coperta del capo o del pane (cfr. rov. paṣkanéiṣa)".
10 Vgl. Ive (1900: 87): "imberláþe piegarsi, torcersi (detto specialmente del legname), imberlare; cfr. vall. źberláṣi pol. inberláṣe curvarsi, dign., fas., invangáṣe. E sarà il riflesso pirano-pol. deriv. da vertere; v. Parodi, l. c. 221".
11 Vgl. Ive (1900: 162): "ṣentinár rumoreggiar che fa il mare, agitato del vento".
12 Vgl. Ive (1900: 154), Nr. 79: "rógole (cf. mil. rogora) roveti".
13 Vgl. Ive (1900: 68): "raṣčáṣo, raṣtéia movimento che fa 1'acqua del mare alla spiaggia, quando le onde, con forza agitandosi fra i sassi, nell' infrangersi ed indietreggiare spumeggiano; risacca. I riflessi rispecchieranno un tema quale *rasc'lare *rast'-lare; il movimento dell' acqua arretrantesi venendo paragonato forse a quello d'un rastrello raschiante (?); cfr. fas. riṣtiaṣu, pir., pol.,siss. raṣtía, raṣtiá raṣčá."
14 Vgl. Ive (1893: 5), FN b) für die hier von Ive verwendeten Abkürzungen: "Anderweitige Abkürzungen sind: dign. Mundart von Dignano. – fas. Mundart von Fasana. – gal. Mundart von Gallesano. – mugg. ladinische Mundart von Muggia […]. pir. – Mundart von Pirano. – pol. Mundart von Pola. – rov. Mundart von Rovigno. – sis. Mundart von Sissano. – terg. alte, ladinische Mundart von Triest. – val. Mundart von Valle. "
15 Vgl. Ive (1900: 63): "ğanéiko freddo acuto; cfr. gall., pol. ğaníko,fas. ǵinéiku, pir., capod., ǵeníko, friul. zenígo, berg. genígo zenígo, bresc. janíco, pad. gianíco, rom. ggiannetta ggiannina (Belli, Son.: Inverno del 1833 v. 5), abruzz. giannícche t. fam. per 'neve'. Saranno tutti deriv. da Gianni, abbrev. di Giovanni (v. il npr. Giannicco presso l' Aretino (Marescalco) e horning, Zeitschr, f. r. Ph. XX 340 XXII 481)."
16 Nicht lesbar.
17 Vgl. Ive (1900: 64): „grúvio scabro, ruvido. Per l’etimo di questa voce, comune a tutta l’Istria (v. pir., siss. grúvio gróvio, vall. grúvo, dign. grúovo lappa), che è ruvido, cf. Schuchardt, Contor. cit. p. 22-23; Salvioni, Arch. XII 431 XIV 214; e per la forma grúnio, Biadene, St. d. f. r. VII 126.
18 Stechender oder Stacheliger Mäusedorn, auch Dornmyrte.
19 Schuchardt sammelte im Rahmen seiner Forschungen zur Sachwortgeschichte unter anderem Spindeln und Spinnrocken. In seiner im Österreichischen Museum für Volkskunde aufbewahrten Sammlung finden sich fünf aus Istrien stammende Spindeln. Drei von diesen sind sicher durch Ives Vermittlung zu Schuchardt gelangt ( ÖMV/63.410, ÖMV/63.411, ÖMV/63.430), vermutlich daneben auch die Spindeln mit den Inventarnummern ÖMV/63.408 und ÖMV/63.409). Unter Umständen stammen auch der Rocken mit der Inventarnummer ÖMV/63.471 sowie die Haspel mit der Inventarnummer ÖMV/63.481 von Ive, dem wichtigsten Informanten Schuchardts im Bereich der Sachwortforschung in Bezug auf Istrien, der aber auch Materialien aus anderen Teilen Kroatiens beschaffte, wie etwa die Spindel aus Mali Lošini (Lussinpiccolo) mit der Inventarnummer ÖMV/63.416/a.