Hugo Schuchardt an Karl Vossler (37-HS_KV_s.n.)

von Hugo Schuchardt

an Karl Vossler

Graz

06. 11. 1921

language Deutsch

Schlagwörter: Biographisches Universitätsangelegenheiten Antisemitismus Persönliche Treffen Spitzer, Leo Steiner, Herbert

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Karl Vossler (37-HS_KV_s.n.). Graz, 06. 11. 1921. Hrsg. von Verena Schwägerl-Melchior (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2868, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2868.


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Graz, 6 Nov '21

Über L. Spitzers wissenschaftliche Bedeutung gehen wohl unsere Ansichten nicht allzuweit auseinander (auch ich finde daß er etwas zu viel und zu rasch schreibt) und insofern ebensowenig über seine Anwartschaft auf eine Professur. Sollten bei den Ent|2|täuschungen die er erfahren hat (besonders auch seitens des Αυτόs oder vielleicht mehr der Αυτή) außerwissenschaftliche Gründe mitspielen, so enthalte ich mich jedes Urteils über deren Berechtigung.1 Allerdings scheint es mir, daß Spitzer in seiner Eigenschaft als Jude jetzt so gut wie keine Aussichten hat. Doch wäre es im Interesse unseres wissenschaftlichen Lebens wünschenswert daß sich |3| darüber in den Universitätskreisen Klarheit verbreite. Da ich selbst weder die Möglichkeit noch auch die Lust habe (im gegenwärtigen Augenblick – wegen des "do ut des" am allerwenigsten), mich in die Angelegenheit einzumischen, so würden Sie mich sehr verbinden, mich mit drei Worten zu unterrichten wie Sie über die ganze Sache denken.

In diesen Tagen sprach wiederum (wie schon im Sommer) |4|Herr Herbert Steiner bei mir vor. Er hat einen großen – nein sagen wir einen hübschen Rekord zu verzeichnen: während mich sonst schon eine einstündige ernste Unterhaltung ermüdet, hat er es bei mir zu drei und vier Stunden gebracht. Er ist der geborene Interviewer, dabei hat er ein so wohlklingendes Organ daß selbst meine Hausleute es der Erwähnung wert hielten. Er versteht so gut zu fragen und setzt die Worte so zierlich daß ich mit meiner eingerosteten (auch innern) Stimme mich ganz beschämt fühlte. Ein Chry[s]ostomus, ein Goldmündchen!2

Mit herzlichem Gruß der Ihrige
H. Schuchardt.


1 Zwischen den Briefen mit den Lfd. Nr. 36-12545 und 37-HS_KV_s.n. scheint mindestens ein Schreiben zu fehlen, in dem durch Vossler vermutlich Spitzers beruflicher Werdegang thematisiert wurde.

2 Chrysostomos, gr. 'Goldmund'.

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