Hugo Schuchardt an Carolina Michaëlis de Vasconcelos (21-s.n.)

von Hugo Schuchardt

an Carolina Michaëlis de Vasconcelos

Bad Alexandersbad

1882

language Deutsch

Schlagwörter: Kreolsprachen Bittschreiben Sprachprobe Orthographie Kreolistiklanguage Portugiesischbasierte Kreolsprachenlanguage Portugiesischbasierte Kreolsprache (Kapverdische Inseln)language Portugiesischlanguage Kabardinisch Coelho, Francisco Adolfo Schuchardt, Hugo (1882)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Carolina Michaëlis de Vasconcelos (21-s.n.). Bad Alexandersbad, 1882. Hrsg. von Bernhard Hurch (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.285, abgerufen am 08. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.285.


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Alexanderbad, Bayern (Oberfranken).

Verehrte Frau,

Gestatten Sie, Ihnen zunächst meine Bewunderung bezüglich der fortdauernden reichhaltigen Spenden, mit denen Sie uns erfreuen, auszudrücken. In traurigem Gegensatz zu Ihnen bin ich fortdauernd faul. Europamüde, wandle ich jetzt unter Palmen und Bananen d.h. ich beschäftige mich fast ausschliesslich mit kreolischen Studien. Ich denke als Vorläufer einer grösseren Arbeit Einzeldarstellungen von bisher unbekannten kreolischen Mundarten (insbesondere portugiesischen) zu veröffentlichen; die erste dieser Kleinigkeiten wird im Oktober erscheinen.1Coelho hat mir schon vor längerer Zeit geschrieben, dass er es aufgegeben habe weiteres Material zu sammeln (das noch restirende gedenke er zu veröffentlichen); ich |2| glaube allerdings, dass ein so zeit- und geldraubender Sport für ihn nicht taugt. Er hat mir gegenüber sich über seine Lage in fast verzweifelter Weise ausgedrückt ich bin aber nicht ganz im Klaren darüber, ob es sich nur um Materielles handelt. Wenn Sie mir Näheres mittheilen können werde ich Ihnen sehr verbunden sein.

Da ich portugiesisch nur auf litterarische Weise getrieben habe, und es mir als Konversationssprache ganz fremd ist, so versetzen mich meine kreolischen Texte zuweilen in ziemliche Verlegenheit. Sie begreifen, dass ich mich in dieser nicht an Coelho wenden mag und mögen verzeihen, wenn ich mir zu fragen erlaube, ob Sie dann und wann mir als Helferin zur Seite stehen wollen. Es handelt sich um Dinge, die Jemand, der Portugiesisch zu reden und zu hören gewohnt ist, sofort herausfinden wird.

Ohne noch die Erlaubnis zu haben, wage ich schon heute eine kleine Probe vorzulegen. Es ist ein Brief in einem Gemisch von Kreolisch und Portugiesisch, der mir zwar nicht ganz dunkel, aber auch nicht ganz klar ist.

Illmo Sns 1° Sargente

Istamareio a bom saude de lhe e do seletismo a familho deus |3| deis vido saude par lhe e par familho que a lhe perdoi par sua Pobre Criado nás leve disféito do pobre Criado vae mador esta resebo que náo lhe ficá jagado heu ficádo falar para á lhe que par heu fager o serviso com Arvorado tei a hevige a tudo soldo anda fazendo a meu quixos par madar desnominar ellos dormo ate no sentinello vai meio horras lises recoi as 5 horras i dipois quando faça micrico a dianto Sr. furiher que ello ficou madar disnomiar sua pobre criado G.P.

Ich füge noch einige Wiegenlieder, die ja immer ein Bisschen unverständlich sind, hinzu; ich denke, Sie werden mir portugiesische Parallelen liefern können – oder haben Sie Ihre Kleinen auf Deutsch in den Schlaf gesungen?

Oh! boiá, oh! boiá bolhar ?

Oh! boiá que é de leit

Não vá2 leit, "es gibt keine Milch"

Não vá3 leit,

Vacc fugí oiteir!

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Dol, babá, dol von dormir? [ doldol = die Wiege]

Babá queré col

Ni-nim, babá, ni-nim ist babá, babasinh auch port.?

Babá piquinin

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Amblá – indó

Amblá – indó

Babá porque chor

Mamá papá querê babá

Amã butá fôr ama?

Die Schreibgewohnheiten der Portugiesen machen mir viel zu schaffen, besonders ihre Akzentsetzung. Ich kenne die qualitative Bedeutung von ´ und ^ auf e, o und a; aber sie scheinen nebenbei, wenigstens indirekt, nicht selten die Betonung anzudeuten. Welche ungemeine Inkonsequenz in dieser Beziehung zeigen Coelho's capverdische Texte! Können Sie mir nicht einige allgemeine Winke geben, mich in solchen Labyrinthen zu recht zu finden. Öfters begegnet mir ė und ich weiss nicht ob ich es als e oder als i lesen soll. Ist es etwa die gewöhnliche Korrektur des e und in i?

Verzeihen Sie die Belästigung. Empfehlen Sie mich Ihrem Gatten herzlichst.

Indem ich Ihnen und den Ihrigen alles Gute wünsche, bin ich

in vorzüglicher Hochachtung

Ihr ergebenster

Hugo Schuchardt

Ich bleibe noch einige Wochen hier.


1 Es handelt sich um die Kreolischen Studien I: Ueber das Negerportugiesische von S. Thomé in Westafrika; HS (1882), Brevier/Archiv Nr.d 132.

2 Recte: ?

3 idem.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Archivs der Universität Coimbra, Portugal (Lehrstuhl für Germanistik). (Sig. s.n.)