Hugo Schuchardt an Franz von Miklosich (10-138-41-08)

von Hugo Schuchardt

an Franz von Miklosich

Graz

10. 02. 1882

language Deutsch

Schlagwörter: language Rumänischlanguage Lateinlanguage Meglenorumänischlanguage Italienischlanguage Spanischlanguage Französischlanguage Irischlanguage Albanischlanguage Friaulischlanguage Walisischlanguage Altkirchenslawischlanguage Russisch Zimmer, Heinrich Miklosich, Franz (1881) Miklosich, Franz (1882) Miklosich, Franz (1882) Miklosich, Franz (1882) Miklosich, Franz (1883) Ascoli, Graziadio Isaia (1873) Zimmer, Heinrich (1881)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Franz von Miklosich (10-138-41-08). Graz, 10. 02. 1882. Hrsg. von Bernhard Hurch und Luca Melchior (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2811, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2811.


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Graz, 10. II. 82.

Hochverehrter Herr Hofrath,

Verzeihen Sie, dass ich meine längst gehegte Absicht, Ihnen für Ihre so ungemein reichhaltigen und so rasch aufeinanderfolgenden rumunischen Untersuchungen und Beiträge meinen ergebensten Dank zu sagen, erst so spät zur Ausführung bringe.1 Welches Glück, dass Sie endlich im Rumänischen, vor dem wir berufsmässigen Romanisten stets eine gewisse Scheu gehabt haben, einmal gründlich aufräumen! Gern würde ich mir in mündlichem Verkehr mit Ihnen zu der ausserordentlichen Belehrung und Anregung, welche mir Ihre Arbeiten gewähren, noch Einiges |2| nachtragen lassen. Über ein paar Punkte nämlich hege ich – was Sie mir gewiss verzeihen werden – noch einige leisen Zweifel. Z.B. sagen Sie B. I, 34 dai u.s.w. weiche vom lat. ab; es wäre di zu erwarten aus das.2 Der Fall ist der gleiche im Italienischen; ich glaube aber dass zwischen dem unbetonten as von amas und dem betonten von das ein Unterschied besteht; dai ist wie noi, poi, trei (rum.), crai (it.)3 u.s.w. Das a für e=i in al, *ála (B. II, 42)4 ist befremdend; sollte es nicht aus zunächst hervorgegangen sein (etwa wie sich mdl. franzal=eal findet)? Die von Ihnen angeführten Parallelen enthalten a für e alle in unbetonter Silbe (wobei allerdings geltend gemacht werden kann, dass auch die Pronominalformen en- oder proklitisch sind) und ihre ratio scheint mir verschieden: bei den einen möchte |3| ich Vertauschung der Praeposition annehmen (adspecto, adlégo); andere sind in andern romanischen Sprachen zu finden (so jejunium span.ayuno[irischaoin], aquel = eccu' illum u.s.w.). Die Gleichung nji = mnji = mji bin ich nicht abgeneigt zu unterschreiben, aber vielleicht in einem andern und weitern Sinne als Sie thun; ich würde nämlich auch für das Italienische (gnaffè = mia fè, Settignana = Septimiana u.s.w.) keine andere Erklärung zulassen und einen solchen parasitischen Laut sodann in einer grossen Reihe von Fällen statuiren, in denen man bisher nicht daran gedacht hat, also z.B. span. (volksthüml.) mues(tr)o = nmues(tr)o = nues(tr)o. Mit andern Worten, es ist der Dauerlaut nicht auf ein Mal in den ihm verwandten abgeändert worden, sondern erst seine zweite Hälfte.5|4| U. II. 16 mrum.étę, alb.jétę (ebenso friaul.ète, jète, kymr. oed) gehen doch wohl auf den Nominativ aetas zurück, wie Ascoli6 und ich 7. angenommen haben. Doch ich breche ab, um Nachsicht wegen dieser Bemerkungen bittend.

Darf ich es wagen, eine Frage bei dieser Gelegenheit an Sie zu richten? Zimmer Glossae Hibernicae8 XXXIX glaubt in einem irischen Kodex des 8-9. Jhrhs. (denn aus dieser Zeit stammt er wirklich) einen Slowaken Pan Gurbán zu finden. Was halten Sie von der Möglichkeit eines solchen slow. Namens meinetwegen auch für das 11. oder 12. Jhrh.? Zimmer übersetzt Dominus Gibben und vergleicht altsl.grŭba, grŭbatŭ, russ.gorbína, gorbúnŭ.9 Im Jahre 1848 od. 49 soll sich ein Slowakenführer Gurban oder Hurban bekannt gemacht haben.10

In ausgezeichneter Hochachtung

Ihr treu ergebener

Hugo Schuchardt


1 Im gesamten Brief bezieht sich Schuchardt auf Miklosich 1881-1883 (Miklosich (Bd.1) 1881, Miklosich (Bd.2) 1882, Miklosich (Bd.3) 1882, Miklosich (Bd.4) 1882, Miklosich (Bd.5) 1883), und verwendet "B." als Abkürzung für "Band", "U." für "Untersuchungen", also gleichbedeutend. Zum Zeitpunkt des Briefes waren höchstwahrscheinlich nur die ersten zwei Teile erschienen, auf die sich Schuchardt bezieht (der dritte Teil der Untersuchungen wurde in der Akademie-Sitzung des 4. Januar 1882 vorgelegt, vgl. Anzeiger 1882: 2).

2 In Miklosich (1881c: 550 (34)) liest man: "Das rumun. beruht auf ao, av: laŭ lavo. daŭ do,l̕aŭ levo, staŭ sto stützen sich auf Formen wie dao, levao, stao, biau auf bebáo (bevao); auch dai, l̕ai, lai, biai weichen vom lat. ab: lat. das würde di, mrum.dzi, drum. zi ergeben. Dagegen da dat, l̕a sumit (lĕ́vat, liéve̥, lieáue̥), sta stat; μπιᾶ bja bibit beruht auf bébet: béve, beáue̥".

3 Nur in Mittel- und Süditalien erhalten, aus lat. crās 'morgen'.

4 Die Stelle ist jedoch in Miklosich (1882c: 44) zu finden: "Dass al aus lat. ellum hervorgegangen ist, ergibt sich aus den Worten, in denen anlautendes lat. e durch a ersetzt wird: ažún jejuno: das anlautende lat.j ist abgefallen: vergl. it.giunare, sp.ayunar. alég eligo. aštépt exspecto. astíngu exstinguo kav. argát ἐργάτης. atšél, atšést ecc' ille, ecc' iste. akoló dort eccu' illoc. akúm, alt akmu, jetzt: modo für nunc Venant. Fort. Wollte man wegen der abweichenden Betonung sagen, aus éligo sei zuerst leg und aus diesem in der rumun. Periode alég entstanden, so zeigt kulég colligo die Unhaltbarkeit dieser Erklärung, elli wird demnach ai aus ali und aus ellae entwickelt sich ále".

5 Vgl. Miklosich (1882e: 40-44), mit expliziter Bezugnahme auf Schuchardt, jedoch ohne genauere Angabe der schuchardtschen Quelle (vgl. Miklosich 1882e: 43).

6 Vgl. Ascoli (1873: 500; 531)

7 Vgl. Schuchardt (1872: 248; 289).

8 Zimmer (1881).

9 Die Stelle in Zimmer (1881: XXXVIII-XXXIV) lautet: "Maxime memoratu dignum est carmen alterum, in quo monachus Hibernicus studia sua cum diversis atque valde contrariis studiis alius cujusdam viri joculariter comparat. Quem virum de natione Slovacorum fuisse prodit nomen Pan Gurbán* (v. 1.4), quod significat 'Dominus Gibber'.**". Die Fußnoten dazu lauten: "* Ern. Windisch cum hoc nomen tum sensus totius carminis parum intellegens Pangur Bán scribit. ** Cf. palaeosl. grŭba convulsio qua corpus retro flecitur, grŭbatŭ gibbosus, russ. gorbína gibber, gorbúnŭ gibbosus; Miklosich (Lexicon palaeosl. s.v. grŭbŭ dorsum) bene monet, vocem Hibernicam gerbach gl. rugosus (Stokes Irish Glosses 652) ex eadem radice derivatam." (Zimmer 1881: XXXIX).

10 Jozef Miloslav Hurban (1817-1888), ein slowakischer Politiker (Vorsitzender des Slowakischen Nationalrats), Schriftsteller und Publizist, der 1848/49 eine führende Rolle im Slowakischen Aufstand gespielt hatte. Von den österreichischen Behörden noch in den 1860er und 1870er Jahren zweimal wegen politischer Schriften inhaftiert. Vgl. auch den folgenden Brief von Miklosich.

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Österreichischen Nationalbibliothek. Siehe: [Portal]/Österreichische Nationalbibliothek, " Schuchardt, Hugo, 1842-1927 [VerfasserIn] ; Miklosich, Franz, 1813-1891 [AdressatIn]" (Sig. 138)