Franz von Miklosich an Hugo Schuchardt (03-07369) Franz von Miklosich Bernhard Hurch Luca Melchior Institut für Sprachwissenschaft, Karl-Franzens-Universität Graz Zentrum für Informationsmodellierung - Austrian Centre for Digital Humanities, Karl-Franzens-Universität Graz GAMS - Geisteswissenschaftliches Asset Management System Creative Commons BY-NC 4.0 2022 Graz o:hsa.letter.2793 03-07369 Hugo Schuchardt Archiv Herausgeber Bernhard Hurch Karl-Franzens-Universität Graz Österreich Steiermark Graz Karl-Franzens-Universität Graz Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen 07369 Franz von Miklosich Papier Brief 4 Seiten Wien 1877-11-23 Hugo Schuchardts wissenschaftlicher Nachlass (Bibliothek, Werkmanuskripte und wissenschaftliche Korrespondenz) kam nach seinem Tod 1927 laut Verfügung in seinem Testament als Geschenk an die UB Graz. Bernhard Hurch Luca Melchior 2013 [2015] Der Briefwechsel zwischen Franz Miklosich und Hugo Schuchardt (1871-1889) Grazer Linguistische Studien 80 79-123 Bernhard Hurch Luca Melchior 2015 Die Korrespondenz zwischen Franz von Miklosich und Hugo Schuchardt Hugo Schuchardt Archiv Bernhard Hurch

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Hugo Schuchardt Archiv

Das Hugo Schuchardt Archiv widmet sich der Aufarbeitung des Gesamtwerks und des Nachlasses von Hugo Schuchardt (1842-1927). Die Onlinepräsentation stellt alle Schriften sowie eine umfangreiche Sekundärbibliografie zur Verfügung. Die Bearbeitung des Nachlasses legt besonderes Augenmerk auf die Erschließung der Korrespondenz, die zu großen Teilen bereits ediert vorliegt, und der Werkmanuskripte.

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Franz von Miklosich Wien 1877-11-23 Hugo Schuchardt Wien-Fluss 16.38409,48.2088 Korrespondenz Franz von Miklosich - Hugo Schuchardt Korrespondenz Serbisch Rumänisch Altkirchenslawisch Polnisch Russisch Englisch Latein Bulgarisch Französisch Albanisch Wissenschaft Sprachwissenschaft Brief Deutsch
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Geehrter Herr Professor!

I. џ wurde im zweiten Decennium dieses Jahrhunderts von Vuk Vuk Stefanović Karadžić (1787-1864), serbischer Philologe und Hauptreformator der serbischen Schriftsprache, die er auf der Grundlage der štokavisch-ijekavischen Ausprägung gebildet hatte. in das Serb. Alphabet aus dem rumän. aufgenommen, ohne Not. Es kömmt im Serb. fast nur in entlehnten Worten vor. џ ist eine Erfindung der Rumänen, eigentlich die ältere Form von ч : џ.

II. ӵ ist nach meiner Ansicht aus dem aslov. ѫ entstanden, das selbst neben ѧ von den Rumänen angewandt wird oder wurde. ӵ, ѫ neben ѧ bezeichneten ursprünglich denselben Laut, nämlich ън = e̥n

Dazu in Miklosich (1881c: 523) : "Ausser dem findet sich im drum. noch ein Vocal, den man als unvollkommen gebildet oder unbestimmt bezeichnen muss: es ist der hier durch î ausgedrückte Vocal, der als ein energisch articuliertes anzusehen und aus diesem entsprungen ist. î ist das aslov. ъј, poln. y, russ. ы – proiznositsja točno takъ kakъ. russkoe ы: m îʹne̥ мьɐјнэ sagt Ginkulov 14. Daher rîge̥í рҟјгти. rîs рҟјсь. Diese Bestimmung des Lautes von î scheint mir richtig. Unklar ist die Anweisung ѫ - (î) mit einem tiefen Nasenlaute als ein dumpfes ae auszusprechen Clemens 1; ebenso die Erklärung des î als 'ἦχος πολλὰ σκοτισμένος' 'unu sunetu forte intunerecatu', die durch die zweckmässige Anführung des englischen Wortes 'sir' brauchbarer wird Massim 17. 18. Neben kîʹne steht dem lat. canis kîʹjne gegenüber, das nach meiner Ansicht nicht anders erklärt werden kann als das russ. myj, das man bei energischerer Aussprache fur my hört. Herr Lambrior hat in der Romania ix. 100. 372. von dieser Erscheinung eine zuerst von cip. 1. 23. vorgebrachte Erklärung gegeben, der ich nicht beipflichten kann" und weiters ( Miklosich 1881c: 523-524): "Für und î habe ich die Benennung 'dumpfe Vocale' gewählt.

Was die Buchstaben für e̥ und î anlangt, so ist zu erwähnen, dass in jüngerer Zeit im kyrillischen Alphabet e̥ durch ҟ, î hingegen im Anlaut durch ӵ, sonst durch ѫ ausgedrückt wurde. Das dem kyrillischen Alphabete fehlende ӵ ist eine leichte Umänderung des in den slavischen Handschriften mancherlei Gestalten annehmenden ѫ, das Mardz'ela auch im Anlaut für î gebraucht. Dass das slavische ѫ, das im aslov. den Laut o) darstellt, im drum. zur Bezeichnung des î, poln. y, russ. ы, dient, wird begreiflich, wenn man bedenkt, dass alt­slovenischem ѫ bulg. ъ, d. i. e̥, gegenübersteht. Vergl. Grammatik 1. 32. 368. aslov. рѫка d. i. ro)ka, bulg. rъҡъ d. i. re̥ke̥. Es wird demnach nicht überraschen, dass in älteren drum. Denkmählern ѫ auch zum Ausdrucke des e̥ verwendet wird, daher мѫгоура сфнтѫ d. i. me̥gura sfn#te̥ psal. 2. 6.-kor. Facsimile 5. Dass man in neuerer Zeit angefangen hat, den Laut î durch ѫ zu bezeichnen, mag darin seinen Grund haben, dass man e̥ und î nicht schied, und dass zum Ausdrucke des î kaum ein anderer Buchstabe verfügbar war".

Lepsius.Nach den Transkriptionsvorschlägen von Karl Richard Lepsius' allgemeinem linguistischen Alphabet ( Lepsius 1855 ). entspricht dem "unbestimmten Vokal" ( Lepsius 1855: 25), d.h. [ǝ].n schwand in vielen Worten, daher ӵ, ѫ, ѧ = ъ (e̥ Lepsius).In Miklosich (1882b: 189) liest man diesbezüglich: "Die Divergenz beruht wohl auf dem geringen, selbst in betonten Silben schwer merkbaren Unterschiede zwischen (ъ) und î (ѫ), woraus es sich erklärt, dass auch manche dacorumunische Schriftsteller (ъ) dort gebrauchen, wo andere î (ѫ) anwenden".

ѫ ist aslov. on, d.i. poln. a¦,Gemeint ist wahrscheinlich [)], im Polnischen als "ą" graphisch dargestellt. fz. on.

ѫ ist bulg. ursprünglich ън = e̥n, heutzutage ъ = e̥.

ѫ ist dakoslovenisch (d.i. in der Sprache der slovenischen Bewohner Daciens, die zu Anfang des XIX. Jahrhunderts noch lebte) Damit ist das Dakoslawische gemeint, d.h. die besondere Form des Altkirchenslawischen, das in unterschiedlichen Ausprägungen auf dem Gebiet des heutigen Rumäniens gesprochen wurde und lange Zeit als Prestige- und Schriftsprache galt (dazu vgl. Dahmen 1997: 372-373). Miklosich bezeichnete das "Dakoslovenische" als "ein Slovenisch, das am linken Ufer der unteren Donau bis zum Beginn dieses Jahrhunderts ein kümmerliches Dasein gefristet hat" ( Miklosich (1883b: 8) ) und hatte schon 1856 dieser Sprache eine Abhandlung gewidmet (vgl. Miklosich 1856b ).ън = e̥n.

Geht man von ӵ, ѫ, ѧ = ън (e̥n) und = ъ (e̥) aus, so begreift man die sonst rätselhaften Schreibweisen der Rumänen.

ӵпърат Maior.Es ist wahrscheinlich das sogenannte Lexicon de la Buda (1825) gemeint, an dessen Erstellung der rumänische Theologe und Historiker Petru Maior (1754-1821) maßgeblich beteiligt war. Dort ( Lexicon de la Buda 1825: 278) liest man ӵпъраɐт. Für die Überprüfung der Transkriptionen danken wir Arno Wonisch (Graz). Ӵмпърат Iszer.Gemeint ist Ißer (1850: 258) , wo man liest: ӵмпъратҳ. коперемѫнт Clemens 4. Clemens (1823: 61 oder entsprechende Stelle in einer späteren Ausgabe).мормънт maiorIm Lexicon de la Buda (1825: 400) liest man: Мормъɐнт..

кѫт quantum maiorVgl. Lexicon de la Buda (1825: 568) : Кѫɐт. neben кът, ursprünglich кѫнт, кънт.

кѫне canis IszerVgl. Ißer (1850: 95) . neben къне MaiorVgl. Lexicon de la Buda (1825: 92) : Къɐне., dagegen кѫнтӚ cano Iszer Vgl. Ißer (1850: 95) . neben кънтӚ, nicht кътӚ.

ӵ, ѫ, ѧ sind daher überflüssige Zeichen für ън und ъ. Sie lassen die Lautgesetze manchmahl nicht erkennen: aus ънконтра ergibt sich die Trübung des i vor n zu e̥, was bei ӵконтръ Maior Vgl. Lexicon de la Buda (1825: 291) : Ӵɞкоɐнтръ.. und ӵнконтръ IszerVgl. Ißer (1850: 265) . nicht der Fall ist.In Schuchardt (1880, XI-XII) ist dazu zu lesen: "Nichts als eine Umformung des ѫ ist, Miklosich zufolge, das den Rumänen eigenthümliche ӵ. Hat es ebenso einem Bedürfnisse abgeholfen, wie das aus ч abgeänderte џ? Ich bezweifele es. Man schreibt es nur im Anfang der Wörter, obwohl der dadurch bezeichnete Laut keineswegs an dieser Stelle haftet; vielleicht ist es mit seinem verlängerten Schwanze […] ähnlich zu beurtheilen, wie das J und Y, welches in manchen romanischen Handschriften und Drucken für anlautendes i steht. Wie kommt es aber, dass ӵ nicht nur soviel wie ѫ (oder ъ) bedeutet, sondern auch – und dies ist seine gewöhnliche Anwendung – soviel wie ѫm und ѫn bei folgendem Konsonanten? Nach dem Zeichen für den Vokal wird also das Zeichen für den Nasal ausgelassen und zwar schon in frühester Zeit, obwohl daneben auch ӵн (ӵм) vorkommt […]. Hätte ӵ nur die Geltung von ѫm, ѫn und erlaubte es die Palaeographie, so wäre ich geneigt, ӵ als eine Abart des н aufzufassen und würde dabei an jene Schreibung erinnern, deren man sich für das Neapolitanische, das Albanische und auch das Südrumänische bedient oder bedient hat. Das Häkchen oder die Striche über dem Zeichen (ӵɔ, ӵɖ) würden eben genügend den vokalischen Anlaut andeuten. Wie dem auch sein mag, in vereinzelten Fällen, wo ӵ im Innern eines Wortes auftritt, möchte ich ihm lieber den Werth von n, als den von în beilegen".

Diess ist meine Ansicht von der Sache. Es wird mich recht sehr freuen, wenn sie Ihnen irgendwie brauchbar erscheint.

Mit herzlichen Grüssen Ihr ergebenster Miklosich Wien, 23 Nov. 1877.