Johannes Schmidt an Hugo Schuchardt (07-10099)
von Johannes Schmidt
an Hugo Schuchardt
29. 07. 1875
Deutsch
Schlagwörter: Universität Wien Romanische Philologie Universität Graz Berufungen Universitätsangelegenheiten Nachsendung Postwesen Universität Prag Universität Bonn Italienischsprachige Literatur Universität Innsbruck Ministerium für Cultus und Unterricht (Wien) Italienisch Mussafia, Adolf Demattio, Fortunato Schenkl, Karl Förster, Wendelin Schönbach, Anton Karajan, Max von Schulte, Johann Friedrich von Halle Gotha Lichem, Klaus/Würdinger, Wolfgang (2015)
Zitiervorschlag: Johannes Schmidt an Hugo Schuchardt (07-10099). Graz, 29. 07. 1875. Hrsg. von Bernhard Hurch und Johannes Mücke (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2787, abgerufen am 09. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2787.
Graz d. 29. 7. 75.
Verertester Herr College!
Iren brief vom 27. beantworte ich sofort, da ich gefar im verzuge fürchte.
Als Sie mir zuerst mitteilten, daß Sie Mussafia1 von der angelegenheit geschriben hätten, bekam ich einen gelinden schreck, denn M. steht überall in dem rufe eines ganz unzuverläßigen falschen intriganten (ich kenne in persönl. nicht). Jetzt scheint sich diser ruf auch in unserer angelegenh. zu bewären. Dass Demattio2 mit allen kräften strebt her zu kommen, weiß ich. Schenkl,3 der alle nullen protegiert, unterstützt in nach kräften, jetzt also auch Muss. Ich habe mich in den motiven zu unserem vorschlage, welche ein ser umfangreiches actenstück bilden, bemüht Demattio u. Förster4 aus der ban zu schaffen und Sie als den einzigen möglichen candidaten hin zu stellen. Und daß mir dis gelungen ist und im ministerium überzeugt hat, beweist – Mussafias brief. Wißenschaftliche tüchtigkeit gilt im ministerium nicht vil, kommt wenigstens erst in zweiter linie in betracht. Vor allen dingen will man schulmeister, die schulmeister züchten u examinieren sollen. Ich musste also unter Iren vorzügen besonders hervor heben, daß Sie im stande wären ital. vorlesungen zu halten u ital. zu prüfen. Das scheint in Wien imponiert zu haben. Mussafia hat es nun, so sehe ich die sache an*), darauf abgesehen Inen angst zu machen und Inen eine briefliche erklärung ab zu locken, daß Sie nicht ital. vorlesungen halten u prüfen könnten oder sollten. Geben Sie im dise erklärung oder eine änliche, so geht er damit sofort ins ministerium um sie als waffe gegen Sie zu benutzen. Also, um des himmels willen, sein Sie vorsichtig mit Iren briefen an M., sonst schaden Sie Irer berufung mer als ein anderer kann. Man muß hier zu lande auf alle perfidien ge-|2|faßt sein, wenn es sich um erlangung persönlicher vorteile oder um unterbringung von clienten handelt. Mistrauen Sie in diser sache jedem außer mir, dem einzigen, der für Ire berufung alles aufbietet, was in seinen kräften steht. Vor allen dingen schreiben Sie keinem Österreicher, sei er wer er wolle, one mich vorher gefragt zu haben. Bei allen Wienern waltet die tendenz die provinzial-universitäten möglichst mit nullen zu besetzen, damit die Wiener größen oder nullen desto mer glänzen. Ich werde nun sehen, was im ministerium zu machen ist. Ein glück, daß M. im bade ist, nicht in Wien.
Die bedenken, welche M. in Inen erregt hat, sind ganz grundlos. Schönbach u Karajan, mitglider der prüfungscommission, sind der ansicht, daß Sie vollkommen den anforderungen des k.k. 'prüfungsgeschäftes' genügen werden. Aufsäßigkeit von seiten der Italiener ist nicht zu befürchten, dise würde nur dann ein treten, wenn ein Slave examinator wäre. Denn gegenwärtig halten Italiener u Deutsche überall gegen die Slaven zusammen. Leute, welche sich wißenschaftlich mit ital. spr. u liter. beschäftigt haben u darauf hin geprüft sein sollen, kommen hier ser selten vor. Meist handelt es sich nur um die 'unterrichtssprache', d. h. class. philologen, historiker etc. werden geprüft, ob sie sich correct italien. ausdrücken können. Es handelt sich dabei hauptsächlich darum, ob geborene Slaven so gut ital. sprechen um an dalmatinischen schulen in italienischer spr. latein etc. unterrichten zu können. Und darüber zu urteilen werden Sie Sich wol getrauen. Sollten Sie bedenken tragen, weil Sie längere zeit nicht italien. gehört u gesprochen haben, so halte ich dis für ganz irrelevant. Man hört hier auf der straße ebensovil ital. wie deutsch sprechen, Sie können also, wenn Sie wollen, hier täglich italien. conversation üben. |3| Ich halte den jetzigen moment für die berufung von Deutschen so günstig wie lange keinen, denn das minist. wird gern die gelegenheit ergreifen durch eine berufung zu zeigen, daß es nicht principiell deutschfeindlich ist und den Prager scandal5 dadurch in vergeßenheit zu bringen suchen. Geht das minist. auf unseren vorschlag, der seit etwa 14 tagen in Wien sein wird, ein, dann erhalten Sie recommandiert eine vom minister unterschribene anfrage, ob Sie unter den in dem schreiben namhaft gemachten bedingungen die berufung an nemen wollen. Wenn Sie dann bejahend antworten, so sind Sie dadurch ernannt, ein weiteres anstellungsdecret erhalten Sie nicht. So war wenigstens der verlauf bei mir, und Schulte,6 den ich befragte, sagte mir, daß dis immer so wäre**). Die anfrage geschiht nämlich erst, wenn der kaiser Ire anstellung genemigt hat. Versäumen Sie dann nicht, die bedingungen, welche ich Inen neulich geschriben habe, Sich durch ein eigenes ministerialrescript gewären zu laßen. Erst wenn dis geschehen ist, haben Sie genügende sicherheit um Ire entlaßung aus dem preuß. statsdienste zu beantragen. Sollte die anfrage von Inen lange unbeantwortet bleiben, so halte ich das nicht für günstig. Können Sie nicht in Halle anweisung hinterlaßen Briefe an Sie Iren eltern in Gotha zu schicken oder sonst einer vertrauensperson, die dann auch recommandierte briefe aus Wien zu empfangen von Inen bevollmächtigt würde, eventuell solche briefe an Ire jeweilige adresse dirigieren könnte? Die ministerialschreiben sind an format, sigel und der aufschrift 'vom k.k. minist. f. Cultus u Unterricht' leicht kenntlich. Wie lange es dauern wird, bis die sache zur erledigung kommt, kann ich nicht sagen. |4| Förster hat allerdings bei Schönbach angefragt, Sch. hat im aber nicht darauf geantwortet, wird es auch nicht tun, um in nicht durch kenntniss der sachlage in den stand zu setzen in Wien seine hebel ein zu setzen. Muss. haßt Förster, hat in daher nicht genannt, als er vom minist. gefragt ist. Hier kann man etwas nur dann durch setzen, wenn alle anderen im unklaren über die lage der sache bleiben, also nicht wißen, wo sie angreifen sollen. Deshalb war mir die nachricht, daß Sie an Muss. geschriben haben, so unangenehm, und mit recht, wie Sie nun sehen. Hoffentlich haben Sie Förster durch mitteilungen nicht auch in den stand gesetzt gegen Sie zu intriguieren.
Mit der bitte um größte vorsicht u schweigsamkeit Irerseits grüßt Sie herzlich
Ir
Johannes Schmidt.
*) Ebenso Schönbach, mit dem ich schnell rücksprache genommen habe.
**) Das protocoll über meine vereidigung ist auf dasselbe document geschriben worden, durch welches Stremayr7 bei mir angefragt hat. Daraus geht seine bedeutung als anstellungsdecret unzweifelhaft hervor.
1 Adolf Mussafia (1835-1905), vgl. FN zum Brief 06-10098.
2 Fortunato Demattio (1837-1899) hatte zu diesem Zeitpunkt die Lehrkanzel für italienische Sprache und Literatur an der Universität Innsbruck inne. Mussafia schreibt in einem undatierten, aber vermutlich aus dem Jahr 1875 stammenden Brief an Schuchardt über die Besetzung des Lehrstuhls in Graz: „DeMattio in Innsbruck bittet um die Stelle; ich glaube, dass wenn auch seine Leistungen bisher in mehr oder weniger geschickten Compilationen bestehen, man ihm doch diese nicht nach dem für deutsche Universitäten allgemein giltigen Maassstabe sondern für die speciellen Gr. Bedürfnisse zu berechnende Stelle gewähren darf“ (vgl. Lichem & Würdinger 2015, Brief Nr. 19-07642). Im Nachlass Schuchardts befinden sich zwei Briefe von Demattio aus dem folgenden Jahr 1876 (Bibl. Nr. 02279, 02280). Unter anderem beglückwünscht Demattio darin Schuchardt zur Berufung nach Graz und schreibt, er hätte an der Stelle in Graz kein Interesse gehabt.
3 Vermutlich ist der Altphilologe Karl Schenkl (1827-1900) gemeint, der von 1863 bis 1875 Professor in Graz war. In dieser Zeit war er 1865/66 und 1871/72 Dekan und 1869/70 Rektor der Universität (vgl. Smolak 1990)
4 Vermutlich Wendelin Förster (1844-1915), der ein Jahr zuvor, 1874, als Extraordinarius nach Prag berufen worden war und 1876 einen Ruf nach Bonn auf die Nachfolge von Diez erhielt. Im Nachlass Schuchardts sind 15 Briefe aus der Zeit von 1878 bis 1912 erhalten (Bibl. Nr. 03092-03106).
5 Es ist nicht klar, auf welches Ereignis Schmidt hier anspielt. Die Prager Universität war während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts Schauplatz von nationalistisch motivierten Auseinandersetzungen, die schließlich 1882 in der Teilung der Universität in eine tschechische und eine deutsche Universität mündeten. Die Trennung wurde bis 1939 aufrechterhalten.
6 Möglicherweise ist der Jurist und Rechtshistoriker Johann Friedrich von Schulte (1827-1914) gemeint, der zwischen 1855 und 1873 in Prag Professor für Kirchenrecht und Rechtsgeschichte war, vorher und nachher aber in Bonn lehrte, von woher Schmidt ihn hätte kennen können. Tatsächlich existiert ein Brief in der Bayerische Staatsbibliothek München, der von Schmidt an Schulte am 24.03.1874 aus Graz geschickt wurde.
7 Karl von Stremayr (1813-1904) war 1870-1879 Minister für Kultus und Unterricht und 1879 für einige Monate Ministerpräsident in Zisleithanien. Anschließend war er wiederum ein halbes Jahr Minister für Kultus und Unterricht und auch Justizminister, bevor er 1880 Präsident des Obersten Gerichtshofs wurde.