Hugo Schuchardt an Wilhelm Gurlitt (26-s-n)

von Hugo Schuchardt

an Wilhelm Gurlitt

Graz

20. 06. 1894

language Deutsch

Schlagwörter: Universitätsangelegenheiten Sprachpolitik Grazer Tagespost Biographisches Kommissionen Ive, Antonio Stradner, Josef

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Wilhelm Gurlitt (26-s-n). Graz, 20. 06. 1894. Hrsg. von Lilly Olet (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2757, abgerufen am 30. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2757.


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Graz 20 Juni
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Lieber Gurlitt.

Ich bin wieder mit dem esprit d'escalier behaftet; ich habe bei der Unterhaltung über die Commißion das Wichtigste vergeßen. Ich kann ihr aus dem Grunde nicht beitreten weil ich meine aus 18 jähriger Erfahrung gewonnenen Ansichten über |2| die „Sprachenfrage“ in eine feste schriftliche Form gebracht habe und sie Prof. Ive vor seiner Abreise nach Wien zu beliebiger Benutzung mitgegeben habe. Ganz aus freien Stücken! Das schreibe ich mit einigem Bedenken nieder, denn ich weiß nicht ob Du mir glauben wirst, nachdem Du heute bezüglich der biographischen Notizen über Ive ein so außerordentliches Mißtrauen entfaltet hast. Ich |3| gebe ja zu daß in der Welt viel gelogen wird; aber ich habe nie Gelegenheit gehabt an Stradners1 Wahrhaftigkeit zu zweifeln – und ich kenne ihn ich glaube seit einem Dutzend von Jahren. Wenn mir nun Stradner ganz von selbst sagt daß er sich die Notizen über Ive aus Büchern zusammengestellt, da er seiner behufs Mittheilung solcher nicht habhaft werden konnte – so liegt doch gar kein Grund vor daran zu zweifeln. Es müßte ja eine merkwürdige |4| Verabredung gewesen sein – zu der ich vergebens ein psychologisches Motiv suche. Wenn ich nun, auf Grund solcher Mittheilungen behaupte, Ive hat nicht seine Biographie der Tagespost mitgetheilt, so ist das doch auf jeden Fall berechtigter als wenn Du auf Grund bloßer Vermuthung, das Gegentheil behauptest. Und Du wunderst Dich daß ich mich erhitze, und sagst, man könne mit mir nicht ruhig diskutieren?!

Herzlich

Dein

H Schuchardt


1 Der Publizist und Schriftsteller Josef Stradner (1845-1921) korrespondierte mit Schuchardt in den Jahren 1900-1920 (Briefnr. 11297-11303).

Faksimiles: Universitätsarchiv Graz, Nachlass Wilhelm Gurlitt, Creative Commons BY-NC-SA (Sig. s)