Friedrich Schürr an Hugo Schuchardt (09-10832)

von Friedrich Schürr

an Hugo Schuchardt

Freiburg im Breisgau

17. 06. 1923

language Deutsch

Schlagwörter: Vossler, Karl Neumann, Fritz Graz Straßburg Triest Vossler, Karl (1923)

Zitiervorschlag: Friedrich Schürr an Hugo Schuchardt (09-10832). Freiburg im Breisgau, 17. 06. 1923. Hrsg. von Bernhard Hurch (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2706, abgerufen am 30. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2706.


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Freiburg, den 17. VI. 23.

Hochverehrter Herr Hofrat !

Vielen dank für Ihren freundlichen brief, das manuskript und die karte. Das ist allerdings sehr schmerzlich für mich, dass aus der berufung nach Graz nichts wird und zwar, von allem anderen abgesehen, schmerzlich deshalb, weil ich so gern in die heimat zurückgegangen wäre. Ich lebe nun schon fast 8 jahre in allemannischer [sic] umgebung (zuerst in Strassburg, dann hier) und weiss zur genüge, dass ich hier nie wirklich wurzel fassen werde, bezw., dass ich hier immer einsam im herzen sein werde. Freiburg ist zwar so schön, aber es wäre viel schöner, wenn man die menschen umkrempeln könnte. Die allemannisch-norddeutsche mischung gibt keinen guten klang, denn beiden stämmen fehlt es an liebenswürdigkeit und herzlichkeit. Immer unter menschen zu leben, die kühl und nüchtern das leben und die mitmenschen rechnerisch und quantitativ anschauen, ist nicht mein [...]. Wenn ich eine österreichische lebensgefährtin hier hätte, könnte ich es auf die dauer hier schön finden. Aber ich komme in die heimat immer nur auf eine kurze gastrolle in den ferien und in der nächsten zeit wahrscheinlich überhaupt nicht mehr, da es mir der fortschreitende verfall der mark nicht mehr erlauben wird. –– Uebrigens ist mir hier der überaus häufige föhn auch nicht sehr zuträglich (ich bin von Triest her gegen den scirocco empfindlich) und verursacht mir oft schlaflosigkeit.

Was die stelle in meiner rezension betrifft, wo von Ihrer und Vosslers auffassung des satzes die rede ist, so muss ich zugeben, dass ich mich[t] vielleicht dort nicht deutlich genug geäussert habe. Wenn ich in diesem punkte eine meinungsverschiedenheit zwischen Ihnen beiden feststellen zu müssen glaubte, so bezieht sich das auf Vosslers eigene äusserung (S. 370),1 er könne Ihre auffassung, die das wesentliche im prädikat sieht, nicht teilen. Nun schien es mir gleich, als hätte V. Sie in dieser hinsicht nicht ganz richtig verstanden und ich wollte ursprünglich auch darauf hinweisen, habe aber aus dem bedürfnis nach kürze heraus darauf verzichtet. Wenn ich Sie also selbst richtig |2| verstanden habe, sehen Sie den ursprung des satzes in der notwendigkeit etwas erlebtes (also einen vorgang, nicht so sehr etwas dingliches), zu äussern, sehen Sie also in dem satze deshalb eine vorgangsbezeichnung (wenigstens ursprünglich), während sich V. an dem grammatischen terminus “prädikat” stösst, wodurch das missverständnis entstanden sein muss. Wenn dem so ist, so will ich in diesem punkte noch eine änderung vornehmen, sei es noch im manuskript, das ich von Neumann zurückverlangen würde, sei es in der 1. korrektur. Ich muss vielleicht ohnedies etwas im ausdruck retouchieren, denn ein kollege, den ich das ms. ebenfalls lesen liess, fand, dass ich mich Vossler gegenüber zu sehr aufs hohe ross gesetzt hätte, was aber weder meine absicht noch meine art ist. Es kann aber dieser eindruck von den stellen ausgehen, wo ich von V.s “expressionistischen” formulierungen rede. Haben Sie übrigens auch diesen eindruck gehabt? Ich werde Ihnen gern einen sonderabdruck schicken, falls ich welche bekommen kann. Das Litbl. ist damit sehr geizig und hat mir bisher nie welche geschickt. Auch diesmal habe ich von meiner besprechung Bottiglionis “Fonologia del dialetto imolese” keine abzüge, sondern nur eine nummer des betreffenden heftes erhalten. Ich werde Ihnen aber, wenn ich keine abzüge erhalten sollte und Sie es wünschen, gern einen der durchschläge zusenden.

Wenn Borchardt selbst jude ist, dann ist mir diese verhimmelung durch Wassermann allerdings um vieles verständlicher. Es ist dann wohl wünschenswert, dass die Danteübersetzung auch die eine oder andere wirklich unparteiische, d.h. kritische besprechung vor der öffentlichkeit erfährt.2

In verehrung und mit ergebensten grüssen

Ihr

FriedSchürr


1 In Vossler (1923).

2 Die Danteübersetzung hat Borchardts Übertragung allerdings viel eher als Nachdichtung rezipiert.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10832)