Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (29-05093)

von Johann Urban Jarnik

an Hugo Schuchardt

Prag

02. 04. 1917

language Deutsch

Schlagwörter: language Rumänisch Asbóth, Oszkar Schuchardt, Hugo (1917)

Zitiervorschlag: Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (29-05093). Prag, 02. 04. 1917. Hrsg. von Luca Melchior (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2565, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2565.


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Hochgeehrter Herr College,

Ich danke bestens für die mir freundlichst zugeschickte äusserst interessante Abhandlung "Zu den romanischen Benennungen der Milz"1, die ich allzugleich mit grossem Interesse durchlas.

Bei derartigen Erörterungen sieht man deutlich, welche Wichtigkeit eine umfassende Kenntnis auch ganz abseits liegender Sprachen für die Lösung schwieriger etymologischer Probleme auch dann besitzt, wenn es sich um ein einem minder oder mehr beschränkten Sprachstamm entstammendes Wort handelt, wie z.B. hier um ein romanisches. In dieser Beziehung dürfte es unter den Sprachforschern kaum einen geben, der sich mit Ihnen messen könnte, die Überzeugung hatte ich immer und dürfte dieselbe von allen Fachmännern geteilt werden.

Mein Artikel über meine rumänischen Studien wurde, wie mir gestern mitgeteilt worden, bereits in die Druckerei geschickt, allerdings ist bisher nur der I. sozusagen historische Teil endgültig abgeschlossen,2 während der II meine rumänischen Artikel |2| (dh sowol die rumänischen als auch in andern Sprachen geschriebenen) enthaltende bloss im Entwurf vorliegt, aber während der Osterferien zu Ende geführt werden dürfte.

Die einzelnen Abteilungen haben folgenden Aufschriften: Über die Rumänen und ihre Sprache – Über uns (Böhmen) den Rumänen – Studium fremder Sprache im allgem. – der rumänischen im Besonderen – Über die rum Sprache für Rumänen – Kritik grammatischer und lexikalischer Schriften – Lexikographie – Rumänisches Folklore: – Texte und über solche – Artikel über verschiedene Persönlichkeiten – Autobiographischen Skizzen – Verschiedene Artikel, zumeist anregenden Inhaltes – Meine Briefe und Briefe und Artikel über mich – Toaste, Glückwünsche u.A.

Es dürfte da an 120 Artikel mit Aufschriften in der rumänischen Sprache und in böhmischer Übersetzung zur Aufzeichnung kommen mit dem genauen Nachweis und einigen Anmerkungen über deren Inhalt, wo dieselben zum Abdruck gelangten, also eine Anzahl, die, wenn auch nicht immer qualitativ so doch quantitativ eine gewisse Bedeutung hat.

Material, besonders was das Rumänische betrifft, habe ich massenhaft angehäuft und es würde mich verdriessen dasselbe so wenig ausgebeutet zu haben, wenn ich nicht das Glück gehabt hätte, einen Sohn zu besitzen, der sich einige der Sprachen, die ich mehr oder weniger gründlich kenne, auch zum |3| Studium erkoren, so vor allem das Rumänische, Albanesische, Magyarische, ausserdem jedoch auch das Bulgarische und das Neugriechische, auch Vorlesungen über die keltischen Sprachen hatte er gehört, denn er war so wie ich es in den Jahren 1870-4 gewesen, ebenfalls Hörer der Wiener Universität, worauf er ein Semester in Strassburg, das andere in Paris zubrachte. Ich erlaube mir den Anfang einer Recension der Weigandschen Ausgabe des Harap Alb von Creangă im Namen meines Sohnes vorzulegen. Schade, dass die eigentliche Recension3, auf die ich selbst neugierig bin, da ich dieselbe im Manuscript nicht zu Gesicht bekommen, nicht zugleich abgedruckt werden konnte.

So viel weiss ich, indem ich volle 20 Jahre ausschliesslich rumänisch mit ihm correspondiere, dass er die Sprache des rum. Volkes so beherrscht, wie ich dieselbe niemals beherrscht habe und wie dieselbe auch von gebürtigen Rumänen nur ausnahmsweise gehandhabt werden dürfte. Schade, dass er wie man rumänisch sagt so äusserst "migălos"4 ist und sich nicht entschliessen kann auch über nicht rein wissenschaftliche Substrate zu schreiben. Er ist seit mehr als 12 Jahren in der Landesbibliothek in Brünn beschäftigt, seit 1½ Jahre [sic] ist er als Soldat und zwar zu Iglau in Mähren thätig: zunächst war er ohne Waffe, jetzt hat er jedoch die Officiersschule |4| absolviert und ist Corporal geworden. Er wird vom Kriegsministerium zur Disposition gehalten für den Fall, wenn er als Dolmetsch besonders für die rumänische Sprache verwendet werden sollte, da er ja seit mehr als zwei Jahren als beeideter Translator beim Brünner Landesgericht fungiert.

Ich habe unter den vom mir gepflegten Sprachen auch das Magyarische erwähnt und Sie werden staunen, wenn Sie erfahren, dass ich dazu den Grund bereits im Jahre 1866 als absolvierter 18jähriger Quartaner gelegt hatte.5 Damals kamen nämlich in meinen Geburtsort Pottenstein a. A. in Böhmen zwei magyarische Maroden, von denen der eine Király János hiess6, ich erbat mir von ihm nur einige Gebete: Miatyánk7, Üdvözlégy Mária8, Az Ur angyala9 und Hiszek egy istenbe10 aufzuschreiben, dann stöberte ich in denselben Ferien daselbst eine ung. Grammatik von Márton11 auf, die ich förmlich verschlang, später setzte ich die Studien auch in Wien fort; seit 1885, wo Prof. Asbóth mit seiner Familie die Ferien in Pottenstein zubrachte (auch 1886), unterhielt ich mit einem eine böhmisch-magyarische Correspondenz (– ich schrieb ihm böhmisch, er mir magyarisch –),12 seit November 1915 jedoch nahm ich die Sache von neuem vor und zwar mit einem solchen Eifer und einer solchen Ausdauer, dass ich selbst darüber staune. Ich lese nun auch schwierige Sachen fliessend und nur hie und da kommt ein mir unbekanntes Wort vor.

Nun muss ich jedoch schliessen, ich erschrecke förmlich, dass ich die Kühnheit hatte, Sie mit einem so langen und auch gekritzelten Brief zu belästigen.

Hochachtungsvoll
19 2/4 17.
Jarník
549.II Prag


1 Schuchardt (1917).

2 Es handelt sich wahrscheinlich um Jarník (1918) ; obwohl am Ende dieses Werks die Anmerkung "Příště dále" ( Jarník 1918 : 63) steht, ist keine Fortsetzung bekannt.

3 Jarník, H. (1916) .

4 migălos ʻsorgfältigʼ, aber auch ʻpedantischʼ.

5 Vgl. Brief 05092 vgl. Brief 05079 und die dazu gehörigen Fußnoten.

6 Vgl. Jarník (1909 : 1232).

7 Vaterunser.

8 Avemaria.

9 Angelus.

10 Glaubensbekenntnis.

11 Es ist nicht möglich zu erfahren, welches Werk vom ungarischen Grammatiker József Márton (1771-1840) gemeint ist; es könnte sich z.B. um eine Auflage seiner Praktische(n) ungrische(n) Sprachlehre für Deutsche (z.B. 51828 ) handeln.

12 Vgl. Brief 05092 und die dazu gehörigen Fußnoten.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05093)