Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (21-05085)
an Hugo Schuchardt
02. 02. 1879
Deutsch
Schlagwörter: Albanisch Mussafia, Adolf Schuchardt, Hugo (1880) Hahn, Johann Georg von der (1854)
Zitiervorschlag: Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (21-05085). Wien, 02. 02. 1879. Hrsg. von Luca Melchior (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2557, abgerufen am 08. 06. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2557.
Wien am 2. Februar 1879.
Hochgeehrter Herr Professor!
Ich komme erst heute dazu Ihren letzten Brief zu beantworten. Vor Allem danke ich sehr für die mir in Aussicht gestellten Bogen der Einleitung, die ich Ihrem Wunsche gemäss als Manuscript betrachten will; soll auch Herr Prof. M. nichts davon erfahren?1 Bitte mir dieselben nur nicht lange vorenthalten zu wollen, da mich gerade der Umstand, dass ich den ersten Bogen flüchtig durchgesehen habe, mit Ungeduld erfüllt, um denselben gründlich zu studieren und auch den andern mir anzusehen. Sie erfüllen dadurch meinen heissen Wunsch, den auszusprechen ich mir nur nicht getraut habe.2
Nun komme ich mit einer Bitte. Sie haben sich so viel mit dem Alb. beschäftigt und könnten mir vielleicht angeben, auf welche Weise ich am besten die günstige Gele|2|genheit, die sich mir darin bietet, dass ich mit einem (aus Skutari) gebürtigen Albanesen3 verkehren und arbeiten kann, ausnützen sollte. Ich will Ihnen in Kürze mittheilen, was ich bis jetzt gethan und was ich zu thun gedenke. Zunächst besitze ich eine etwa 700 Wörter umfassende Sammlung von Wörtern, die er ohne dazu aufgefordert zu sein, mir in den ersten fünf Stunden nach Fornasari's ital. Grammatik4 zusammenstellte. In wie fern diese mit den sonst bei Hahn5 u.A. angeführten übereinstimmen oder nicht, habe ich bis jetzt noch nicht untersuchen können.
Da mir aber darum zu thun war, mich in die Lecture von Texten hineinzuarbeiten, nahm ich mir vor, die bei Hahn vorkommenden toskischen Märchen6 in den Dialekt von Skutari zu übertragen und so haben wir es auch mit den drei ersten gemacht und werden es auch mit den zwei letzten thun.
|3|Dann möchte ich dasselbe mit den andern bei Hahn angeführten auch poetischen Texten machen, wofern es etwa nicht vorzuziehen wäre einige der von Hahn deutsch herausgegebenen alb. und neugr. Märchen7 in's Alb. resp. Skutarische zu übertragen. Glauben Sie nicht, dass einige solche Texte irgend wie, am ehesten in einer Zeitschrift, oder auch als ganz kleine Broschure veröffentlicht werden könnten?
Es liegt mir sehr viel daran, dass in der nächsten Zeit etwas von mir erscheine, da ich nur auf diese Weise hoffen kann, irgend welche Begünstigungen vom Ministerium zu erlangen und angesichts dieser Wichtigkeit würde ich mich vielleicht nach gar keinem Verleger umsehen, sondern die Kleinigkeit selbst herausgeben. Sollten Sie im Princip eine bejahende Antwort geben, so würde ich Ihnen, falls Sie es |4| wünschten, sogleich eine Abschrift der bisher gemachten Übersetzungen zusenden, damit Sie sich durch Augenschein überzeugen, ob die Sache Aussicht auf Erfolg hätte.
Im Anschluss darauf möchte ich auch die ganze Grammatik Hahn's8 mit meinen Lehrer durchgehen und sehen, worin die Abweichungen, sowohl in lautlicher als auch in flexivischer Beziehung bestehen. Das Büchlein würde also Texte, eine kleine Grammatik und vielleicht auch lexikalische Beiträge umfassen.
In Bezug auf die Adressen nach Madrid habe ich bereits der Frau Mora geschrieben (da er noch immer abwesend sein dürfte) und sie ersucht, ihrem Mann diesbezüglich zu schreiben und mir bald eine Antwort zukommen zu lassen.9
Indem ich auch Sie um die baldige Mittheilung Ihrer Meinung und um freundliche Rathschläge ersuche zeichne ich hochachtungsvoll
Jarník
1 Es ist nicht klar, auf welches Werk Jarník hier Bezug nimmt, es könnte sich aber wahrscheinlich um das schon häufig erwähnte Schuchardt (1880) handeln, von dem schon oben die Rede war und unten sein wird.
2 Einige Monate später schrieb Grigore Tocilescu an Jarník, um ihn zu fragen, wo er die Einleitung Schuchardts zu Hasdeu hätte lesen können: "Pentru a nu face mai lungă această epistolă, vin a te ruga să mă faci a cunoaşte: unde pot citi prefaţa d-lui Schuchardt la Cuventele den betrîni a d-lui Hasdeu" (Brief aus Paris vom 23.9.1879, ich zitiere aus der Edition von Ionescu-Nişcov, vgl. Jarník 1983 : 304). Jarník erzählte Tocilescu anscheinend, dass er in Besitz des Textes war, wollte ihn ihm aber scheinbar nicht ausleihen, wie dem Brief Tocilescus vom 11.10. desselben Jahres zu entnehmen ist: "Sînt tare mult mîhnit ca voieşti a mă lipsi de o favoare care nu te-ar costa nimic, cred eu. Oare dacă mi-ai trimite pentru 2 zile – chiar pentru o zi, acea critică a d-lui Schuchardt – plătind eu transportul – te-ai compromite în ceva? Oare d. Schuchardt a dat exemplare numai d-tale – pentru ca să ştie anume ca exemplarul ce mi-a servit mie în lectură – dacă ai putea să ştie vreodată – căci cum o să ştie că eu în cabinetul meu citesc cartea d-sale ? – este tocmai exemplarul ce mi-ai împrumutat d-ta ? Crede-mă că aş fi adînc jignit dacă d-ta ai crede de cuviinţă să mă lipseşti de citirea acelei critici. D-ta ştii prea bine cît ţin la d-ta, şi nu cred că pe ntru- o temere nefundată să mă refuzi. De aceea, iată-mă din nou îndreptat cu rugăciune a-mi împrumuta pentru o zi numai, pe cheltuiala mea (transportul) – acea critică – fie chiar legata cu cea mai voluminoasă carte din biblioteca d-tale — şi o vei avea înapoiată după 12 ore" (Jarník 1983: 305). Wahrscheinlich lenkte Jarník ein, denn am 20.10. schrieb Tocilescu noch: "Iubite domnule Jarník, Primind ieri cărţile ce ai binevoit a-mi trimite, mă grăbesc a vă trimite 25 fr. în mandat poştal. Astăzi voi ridica cărţile de la librăria Didot şi mîine vi le voi expedia împreună cu Cuventele den betrîni. Vă mulţumesc pentru înlesnirea ce mi-aţi făcut şi vă rog să contaţi pe amicia şi stima lui" ( Jarník 1983 : 306). Der Text Schuchardts könnte sich unter den Büchern, die Jarník an Tocilescu schickte, befunden haben.
3 Wie Jarník selbst in seinem Zur albanischen Sprachkunde schreibt ( 1881 : 49), handelt es sich um den aus Skutari stammenden Marco Sciantoja.
4 Es handelt sich wahrscheinlich um eine Auflage der Rationelle(n) theoretisch-practische(n) Grammatik zum Unterrichte in der italienischen Sprache von Andreas Joseph Fornasari (vgl. z.B. Fornasari 1857 ). Es ist jedoch nicht möglich zu bestimmen, um welche Auflage es sich genau handelt.
5 Johann Georg von Hahn (1811-1869), zuerst preußischer, dann österreichischer Diplomat in Albanien und Griechenland, beschäftigte sich intensiv mit dem Albanesischen und der albanesischen und griechischen Volksliteratur. Es ist nicht möglich, den genauen Hinweis hier zu entschlüsseln.
6 Es handelt sich möglicherweise um die Texte, die Hahn in seinen Albanesische(n) Studien (1853 bzw. 1854) als Sprachproben anführte.
7 Es handelt sich um Texte aus Hahn (1864) .
8 Es handelt sich mit hoher Wahrscheinlichkeit um die "Beiträge zu einer Grammatik des Toskischen Dialektes" in Hahn (1853, zweites Heft) .
9 Es könnte sich möglicherweise um Jarníks Spanischlehrer handeln, der sich aber nicht näher identifizieren lässt; nicht nur bei Jarník sondern auch bei anderen Kollegen holte sich Schuchardt Hilfe bei den Vorbereitungen der Reise, vgl. z.B. den Briefwechsel mit Alfred Morel-Fatio.