Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (18-05082)

von Johann Urban Jarnik

an Hugo Schuchardt

Wien

14. 01. 1879

language Deutsch

Schlagwörter: Mussafia, Adolf Flittner, Julius

Zitiervorschlag: Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (18-05082). Wien, 14. 01. 1879. Hrsg. von Luca Melchior (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2554, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2554.


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Hochgeehrter Herr Professor!

Da es mir nicht vergönnt war, mich persönlich bei Ihnen für das interessante Werk zu bedanken, welches ich mir gestern beim Herrn Prof. Mussafia geholt habe, so thue ich dies jetzt. Ich bedauere nur sehr, dass Ihre werthvollen Bemerkungen noch nicht in diesem Bande Platz gefunden haben. Hoffentlich wird der zweite Band nicht gar so lange auf sich warten lassen.

Ich glaube, dass Sie den Wunsch geäussert haben, auch die Vorlesungen Herrn Prof. Mussafia's über die afrz. Formenlehre1 zu besitzen, die er im vergangenen Sommersemester gehalten hatte. Ich wäre nun in der Lage Ihnen dieselben zukommen zu lassen und |2| werde nur ein Wort von Ihrer Seite abwarten, um dies zu thun. Um Ihnen Arbeit zu ersparen, würde ich dieselben gegen Postnachnahme (5 fl.) senden.

Anfang der vorigen Woche habe ich wieder eine neue rumänische Bekanntschaft gemacht, eines Journalisten Namens Djuvara2 (sp. Dž..) der nach einem 3 ½jährigen Aufenthalte in Paris sich auf kurze Zeit nach Hause begibt um wieder nach Paris zurückzukehren. Dieser Herr arbeitet an einer Bibliographie aller Schriften, welche von Fremden über Rumänien geschrieben worden sind und hat deren eine erkleckliche Anzahl gesammelt: nur besitzt er, wie mir scheinen will, keine besonderen |3| Kenntnisse eben der fremden Sprachen und dies muss ihm hinderlich sein. Bei ihm habe ich auch den ersten Theil der von Picot herausgegebenen Chronik Urechie's3 gesehen, in welche sich einige starke Versehen eingeschlichen hatten: zwei der stärksten hat mir der Herr gezeigt. In einem Orte insinuirt er dem rum. Chronisten die Meinung, dass die rum. Chronisten überhaupt ungebildete, barbarische Leute waren4; ein anderes Mal sucht er vergebens auf der Karte sammt dem Herrn Lămbrior5 eine Stadt Namens Direptate, weil es von einem Fürsten heisst, er habe seine Feldherrn, Bischöfe berufen la direptate6, was eine sehr geläufige Phrase in ähnlichen Fällen sein soll und nichts anderes |4| bedeutet, als um sich mit ihnen wie es recht ist, zu berathen.

Der Druck ist jedoch sehr schön und auch Druckfehler scheinen nicht vorzukommen.

Von Flittner noch keine Antwort? ich erwarte sie mit grosser Ungeduld.

Hochachtungsvoll
Wien am 14.1.1879
Jarník


1 Mussafia las im Sommersemester 1878 über "Die Formenlehre der französischen Sprache in ihrer historischen Entwicklung" (Öffentliche Vorlesungen 1878: 48).

2 Wahrscheinlich Trandafir George Djuvara (1856-1935), rumänischer Schriftsteller und Diplomat oder sein Bruder Alexandru George Djuvara (1858-1913), Schriftsteller und Politiker. Auch ein Blick in die Bibliographie der beiden (vgl. Ştrempel 1986 : 119-123) ermöglicht leider nicht, das genannte Werk (wahrscheinlich unveröffentlicht geblieben?) zu identifizieren.

3 Picot (1878) . Jarník selbst lernte den französischen Romanisten Émile Picot (1844-1918) erst einige Jahre später, im Frühjahr 1884, kennen (vgl. Jarník 1922 : 3). Auch Schuchardt korrespondierte mit ihm (Briefe Nr. 08821-08825).

4 Picot (1878: 5) übersetzt so einen Passus der Einleitung der Chronik: "Notre chronique moldave, bien loin de faire connaître les événements de l'extérieur, est à ce point abrégée qu'elle n'esquisse même pas la vie de nos princes, maîtres de tous les pouvoirs. Elle a enregistré sommairement les faits depuis les origines jusqu'au prince Pierre Rares, et s'est arrêtée; dès lors, personne n'a plus écrit. Et il ne faut pas s'en étonner, car nos chroniqueurs n'ont pu se procurer des livres; c'étaient des hommes rudes et illettrés, aux mœurs vagabondes. Ce qu'ils nous ont rapporté, ce ne sont guère que des traditions et des légendes transmises de génération en génération".

5 Alexandru Lambrior (1846-1883) rumänischer Folklorist, Ethnologe und Philologe.

6 Der Passus lautet in der Übersetzung von Picot (1878: 93): "Assemblée nationale tenue au lieu appelé Direptate; Etienne est proclamé prince. Etienne assembla à Direptate les grands et les petits boïars, ainsi que la menue noblesse, le métropolitain Théoctiste et un grand nombre de moines". In einer Fußnote kommentiert ihn Picot (ebd.) wie folgt: "Nous avons vainement cherché Dreptate dans les dictionnaires géographiques. Comme nous le fait remarquer M. A. Lambrior, ce nom pouvait s'appliquer à un champ situé aux portes de Suceava dans lequel le successeur d'Etienne fut proclamé en 1504 (Esarcu, 103)".

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05082)