Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (17-05081)

von Johann Urban Jarnik

an Hugo Schuchardt

Wien

11. 11. 1878

language Deutsch

Schlagwörter: Eduard Weber's Verlag Zeitschrift für romanische Philologie Gebr. Henninger Gaster, Moses Flittner, Julius Mussafia, Adolf Gröber, Gustav Bonn Rumänien

Zitiervorschlag: Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (17-05081). Wien, 11. 11. 1878. Hrsg. von Luca Melchior (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2553, abgerufen am 29. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2553.


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Wien am 11. November 1878.

Hochgeehrter Herr Professor!

Auf Ihren geschätzten Brief von heute erlaube ich mir Folgendes zu antworten.

Zunächst muss ich mein aufrichtiges Bedauern ausdrücken darüber, dass Sie sich von einer Sache zurückziehen, welche, wie ich fest überzeugt bin, durch Ihre Mitwirkung allein zu einem definitiven Abschluss gelangen könnte.1 Andererseits kann ich viele Ihrer Gründe doch nur billigen und ich würde gerne bereit sein meine Kräfte der Sache zu widmen, aber auch nur unter der Bedingung, dass ich es nicht allein thun will. Dies scheint mir darum notwendig, weil es mir selbst und dann auch der Sache förderlich wäre, wenn die Grammatik zum baldigsten Abschluss gelangte, denn auch ich werde, ehe diese Arbeit nicht erschienen ist, an etwas anderes nicht denken können. Ferner auch darum, weil es hier nicht so leicht Jemanden gibt, der alle die Sprachen, welche zur Bereicherung des Rumänischen Wortschatzes beigetragen haben, in gleichem Masse beherrschen würde.

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Dass hier die Wahl eines gebürtigen Rumänen sich empfiehlt, liegt auf der Hand. Für Gaster2 bin ich schon darum, da ich, wie Ihnen nicht unbekannt ist, längere Zeit mit ihm correspondirt habe und mich ebenfalls aus seiner letzten Arbeit3, die ich durch Tocilescu's Vermittlung erhielt, mich überzeugt habe, dass er den Gegenstand zu beherrschen weiss. Sollte diese unsere Mitarbeiterschaft zu Stande kommen, so hätte dies noch den Vortheil, dass wir vielleicht schon im Frühjahr in Rumänien oder doch später in den Ferien einige Zeit in einem und demselben Orte uns aufhalten und gemeinschaftlich arbeiten könnten, was gewiss sehr wünschenswerth wäre und nur von guten Folgen begleitet sein würde. Wer weiss, ob er nicht gar im Laufe des heurigen Winters nach Wien übersiedeln würde, wo wir uns dann über jede Einzelheit einigen könnten. Doch das sind Sachen, die ich dann selbst mit ihm ausmachen würde, für heute möge es genügen, dass ich erkläre gerne bereit zu sein mit Gaster4 für Flittner5oder Henninger eine rumänische Grammatik zu schreiben, in welchem Falle ich vielleicht nicht einmal vor einem Concurrenzunternehmen zurückweichen würde. Nun bleibt mir noch die eine Bitte, dass Sie nämlich sowol an Gröber6 als auch an Flittner möglichst bald schreiben, damit ich weiss, wie ich daran bin. Schliesslich erlaube ich mir Sie zu bitten, dass Sie Ihre Zurückziehung nicht gar so streng nehmen und mir erlauben, in streitigen Fragen uns an Ihre bewährte |3| Freundlichkeit um Rath zu wenden.

Heute gehe ich auch zum Herrn Prof. Mussafia, dem ich den Inhalt Ihren [sic] Briefes mittheilen werde. Erst nachdem ich seine Meinung vernommen haben werde, werde ich dieses [sic] meinen Brief der Post übergeben.

Vergangene Woche habe ich auch meine Vorträge im Frauenerwerb-Verein begonnen, sowie auch die Vorlesungen über histor. Grammatik des Frz. (für Anfänger). Im Rum. habe ich doch fünf eingeschriebene zusammengebracht, im Frz. sollten deren, wenigstens nach dem, wie sie sich haben vormerken lassen, fünfzehn sein. Wenn nur schon die Sache einmal im Fluss ist.

Mit vielen Grüssen

Hochachtungsvoll

JohUrb. Jarník

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Mit Herrn Prof. Mussafia's Erlaubnis sende ich Ihnen den Brief, den er morgen an Gröber abschicken wird. Ich habe nur das hinzuzufügen, dass es mir in der That angenehmer wäre, wenn Sie den ganzen Vertrag mit Flittner rückgängig machen könnten. Früher müsste man aber sich vergewissern, ob Gaster auf jeden Fall mit mir in Collaboration treten will, ob das Buch schon bei Flittner oder Henninger erscheinen würde. Denn bin ich der Sache nicht sicher, dann könnte ich zwischen zwei Stühlen durchfallen und das wäre für mich wahrlich nichts Angenehmes.7 Denn abgesehen davon, dass ich diese mir zusagende Antwort mir nicht entgehen lassen möchte, bin ich gewissermassen verpflichtet diese Arbeit zu unternehmen wegen meines Urlaubes, der mir, wie Sie selbst wissen, grösstentheils aus dieser Ursache gegeben worden ist. Schlimmeres könnte mir wol nicht jetzt widerfahren und ich bitte Sie daher, bei der Sache behutsam vorzugehen, damit mir diese äusserst grosse Unannehmlichkeit erspart bleibe. Ich wäre mehr für Henninger, da von ihm eine directe Aufforderung an mich ergangen ist, doch habe ich auch nichts gegen Flittner, wofern nur Gröber selbstlos genug sein wird auch, wenn Flittner auf der Ausführung des Contractes bestehen sollte, Gaster zu einer Mitarbeiterschaft mit mir anzuregen und nicht doch vielleicht denselben allein für Henninger zu aquiriren wobei ich auch notgedrungen zurücktreten müsste.

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[Abschrift vom Brief Mussafias an Gröber 07655]

Verehrtester Freund und Collega!

Ich schreibe Ihnen heute im Interesse einer Sache, welche, wie mir bekannt ist, Sie selbst seit längerer Zeit beschäftigt. Ich meine nämlich die Abfassung einer rumänischen Grammatik. Sie wissen wol, dass auf Aufforderung Flittner's in Bonn Freund Schuchardt die Arbeit übernommen hatte und sich zu diesem Zwecke die Collaboration des Privatdocenten an meiner Universität Dr Jarník gesichert hat. Dies der Grund, warum Jarník auf eine ähnliche Einladung von Seite Henninger's wol dankend aber ablehnend antworten musste. Nun hat sich Schuchardt aus verschiedenen Gründen entschlossen von dem Unternehmen zurückzutreten. Da es nun wahrscheinlich ist, dass Henninger seinerseits wegen des Concurrenzunternehmens den Gedanken an eine rumänische Grammatik aufgegeben hat, so laufen wir Gefahr, an Stelle zweier Grammatiken dieser interessanten Sprache (was vielleicht zu viel wäre) gar keine zu erhalten, und dies wäre wieder zu wenig. Aus Liebe zur Sache und in der Gewissheit, dass Sie in diesem meinem Schritte kein unbefugtes Sicheinmengen in Dinge, die mich nichts angehen, erblicken werden, erlaube ich mir Ihnen meine Gedanken über die Angelegenheit zu äussern.

Da treten zwei Fragen auf: 1) Wer soll sie abfassen? 2) Wer soll sie verlegen?

Zur ersten Frage liegt es nach meiner innigsten Überzeugung im Interesse der Sache, dass die Thätigkeit dieses in rumänischen Dingen so unterrichteten jungen Gelehrten, der schon grosse Sammlungen angelegt hat und dem die Kenntnis der slavischen Sprachen vorzüglich zu statten kommt, dem Unternehmen zugesichert werde. ≠ (s. die andere Seite)

Die Beantwortung der zweiten Frage bietet nunmehr einige Schwierigkeiten. Dass Sie als Ve[r]treter des Henninger'schen Unternehmens am liebsten diesem die Arbeit zuwenden möchten, ist selbstverständlich; andererseits glaube ich als aufrichtiger Freund, dass Sie, um Schuchardt's und Jarník's Stellung zu er|2|leichtern, für einen Augenblick Ihre Beziehungen zu Henninger vergessen und lediglich das wissenschaftliche Moment ins Auge fassen könnten, die Notwendigkeit nämlich der Abfassung einer tüchtigen rumänischen Grammatik. Schuchardt wird Ihnen wahrscheinlich in gleichem oder ähnlichem Sinne schreiben; suchen Sie also Gaster dahin zu bewegen, dass er Schuchardt's Stelle und folglich die Collaboration mit Jarník annehme und zwar vorderhand ohne dass Gaster gegenüber die Rede sei, bei wem das Werk verlegt werden wird.

Entweder besteht Flittner darauf und acceptirt die Veränderung bezüglich des einen Verfassers oder es gelingt Schuchardt den Vertrag vollständig rückgängig zu machen, wodurch Jarník frei würde und das ersehnte Werk bei Henninger erscheinen könnte.

Ich bitte Sie noch einmal meine Einmengung in die Angelegenheit zu entschuldigen.

≠ Indessen denke ich dabei nicht an Jarník allein, sondern wieder an eine Collaboration; nur dass an die Stelle Schuchardts Ihr Schüler DrGaster zu treten hätte, der schon so schöne Beweise seiner Kenntnisse und der tüchtigen Schule, in der er herangebildet wurde, lieferte. Die Abfassung einer rumänischen Grammatik bietet so viele und so eigentümliche Schwierigkeiten, dass die Vereinigung zweier sich ergänzenden Kräfte zum Gedeihen des Werkes wesentlich beitragen würde. Dazu kommt, dass Gaster und Jarník seit einiger Zeit schon in wissenschaftlichem Verkehre stehen und dass die so wünschenswerthe Collaboration an einem und demselben Orte leicht herbeigeführt werden könnte, da Jarník im Frühling nächsten Jahres eine längere Reise nach Rumänien beabsichtigt.


1 Schuchardt verzichtete – angeblich weil er einen längeren Aufenthalt in Spanien vorhatte – auf die Mitarbeit beim Projekt der rumänischen Grammatik, wie er dem Verleger Flittner mit zwei Briefen vom 27. und 28. Januar 1879 mitteilte, vgl. dazu die Antwort Flittners (fälschlich datiert auf den 5. Januar 1879, in Wirklichkeit aber vom 5. Februar desselben Jahres, Archivnummer 03078), welcher den Vorschlag Schuchardts, Jarník solle die geplante rumänische Grammatik übernehmen, ablehnte. Flittner selbst war von Schuchardt nicht darüber informiert worden, dass dieser – der mit ihm einen Vertrag darüber schon unterschrieben hatte – die Grammatik mit Jarník verfassen wollte.

2 Moses Gaster (1856-1939), rumänischer Folklorist und Rabbi, Schüler Gustav Gröbers in Breslau, später eine der wichtigsten Figuren der Zionistischen Bewegung Englands.

3 Wahrscheinlich Gaster ( 1878b oder 1878c ).

4 Schuchardt versuchte, Gaster zur Mitarbeit anzuregen, dieser lehnte aber ab (vgl. den Brief an Schuchardt vom 25.11.1878, Archivnummer 03571). Gaster selbst hatte schon im Juni 1878 das Vorhaben Jarníks, zusammen mit Schuchardt eine rumänische Grammatik zu verfassen, mit Erstaunen kommentiert: "M-a surprins dar de a auzi, că ai de gînd să lucrezi la o gramatică română împreună cu Schuchardt. Desigur numai una mai scurtă, practică? dar nu una raţionată, istorico-filologică? Pe mine mă îndemnase deja de mult d-nu[l] prof. Groeber şi, cum zisei, am lucrat deja foarte mult in această privinţă, M-aş mira dacă şi d-ta vei avea aceeaşi ţintă. In orice caz, te rog răspunde-mi în privinţa aceasta îndată, căci ne interesează pe amîndoi deopotrivă" (Brief an Jarník vom 30.6.1878 in Jarník 1983 : 58).

5 Julius Flittner, zuerst Leiter, dann Eigentümer des Bonner Eduard Weber's Verlag.

6 Gustav Gröber (1844-1891), Romanist, Begründer der wichtigen Zeitschrift für Romanische Philologie und Herausgeber des Grundriss der romanischen Philologie ( Gröber 1888-1902 ), Lehrer von Gaster in Breslau.

7 In der Tat kam das Projekt des Eduard Weber's Verlag nicht zustande (vgl. Găzdaru 1954 , Melchior 2015); beim Verlag Henninger erschien einige Jahre später die Synopse von Körting (1884-1888 ), an der Jarník nicht beteiligt war; ebenso wenig war er an dem Gröberschen Grundriss ( 1888-1902 ) beteiligt, bei dem Gaster die Sektionen über die nichtlateinischen Elemente im Rumänischen ( Gaster 1888 ) sowie über die rumänische Literatur ( Gaster 1901 ) und Tiktin (1888) die Beschreibung der rumänischen Sprache übernahmen.

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