Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (15-05079)
an Hugo Schuchardt
23. 10. 1878
Deutsch
Schlagwörter: Columna lui Traian, revistă mensuală pentru istoria, linguistică şi psicologia poporană Romanische Philologie Universität Czernowitz Universität Innsbruck Universitätsbibliothek Graz Gebr. Henninger Eduard Weber's Verlag Rumänisch Hasdeu, Bogdan Petriceicu Gartner, Theodor Mussafia, Adolf Moldovan, Ioan Micu Mazzoni, Bruno (1983) Gazdaru, Demetrio (1971) Cihac, Alexandru (1870) Schuchardt, Hugo (1875) Cihac, Alexandru (1879) Caix, Napoleone (1878) Schuchardt, Hugo (1880) Hasdeu, Bogdan Petriceicu (1878)
Zitiervorschlag: Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (15-05079). Wien, 23. 10. 1878. Hrsg. von Luca Melchior (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2551, abgerufen am 08. 06. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2551.
Hochgeehrter Herr Professor!
Zunächst will ich Ihnen einiges aus dem Briefe des Herrn de Cihac mittheilen, den er mir gestern während meiner Abwesenheit in meiner Wohnung zurückgelassen hat sammt einem Exemplare von Miklosich's Slavischen Elementen im Rumunischen1, die ich bis jetzt schmerzlich vermisst habe und die er in einem Antiquariat zufälliger Weise fand.
Ich soll Sie von ihm seiner Hochachtung in vollstem Masse versichern. Jede anständige Critik sei ihm höchst willkommen, da ja niemand unfehlbar ist. Dann kommt er auf Herrn Hăjdău2 zu sprechen, und bedauert Herrn Caix3, welcher gesteht, dass ihn die Rodomontaden Hăjdău's gegen ihn, d.h. Cihac überzeugt hätten. Er fügt noch hinzu, dass Hăjdău in seiner Istoria critică4 über den ersten Theil nicht genug des Lobes zu sagen weiss, und erst später als er seinen viel spätern etymol. Versuchen in der Columna entgegengetreten sei, habe er seinen Zorn auf sich geladen.5
|2|Diess [sic] der wesentlichste Inhalt seines Briefes. Es dürfte Sie auch interessiren zu erfahren, dass der Urgrossvater Cihacs ein Böhme war, was mir ohnedies dem Namen nach zu urteilen scheinen wollte. Sie werden hoffentlich auch nicht missbilligen, dass ich mich bereit erklärt habe, für diese beiden Theile einen Index zu liefern, aber nur einen Index der rumänischen Wörter; ausnahmsweise wünscht er auch einen separaten Index der albanesischen Wörter anzulegen, was Sie gewiss auch willkommen heissen werden.6 Es bringt schon den grossen Nutzen für mich, dass ich gleichzeitig mit dem Drucke das Ganze verarbeiten kann, da er anders schwerlich dazu zu bewegen sein würde mir den rein gedruckten Bogen immer zu senden. Bis jetzt habe ich deren 11, wie ich Ihnen ohnedies mitgetheilt zu haben glaube. Selbstverständlich darf ich während der Zeit damit nicht in die Öffentlichkeit treten oder sonst einen Gebrauch davon machen, als höchstens für meine Vorlesungen.7
Was nun diese betrifft, so habe ich wol gestern8|3| begonnen, aber grosse Freude werde ich wahrscheinlich daran nicht erleben. Anwesend mochten wol bei der ersten Vorlesung etwa achte gewesen sein, aber eingeschrieben waren – zwei, darunter der auch Ihnen bekannte Realschulprofessor Th. Gartner9 und ein Rumäne aus der Umgebung Kronstadts. Ob noch andere Rumänen anwesend waren, kann ich nicht sagen, um so weniger, ob welche noch kommen werden.10 Prof. Mussafia ist über die so geringe Betheiligung der hier studierenden Rumänen ganz indignirt. Damit meine Thätigkeit an der Universität doch gar nicht so unbedeutend sich gestalte, stellte mir H. Prof. Mussafia in Aussicht ein Collegium der franz. Grammatik für Anfänger halten zu können. Morgen dürfte ich das Resultat erfahren, ob nämlich eine genügende Zahl von Zuhörern sich finden werde, in welchem Falle ich das Collegium dem Decan anzeigen und anschlagen lassen würde. Dieses Collegium dürfte mir nicht viel Zeit wegnehmen, da ich mich äusserst elementar |4| halten müsste.
Ich vergass in meinem letzten Briefe Ihnen mitzutheilen, dass das Büchlein über Makedo-rum. nichts anderes ist als Hagiadi's Übersetzung des Werkes von Rosa11. Heute bin ich auch im Stande ihnen [sic] die Adresse des Eigentümers und Chefredacteurs der span. Zeitschrift in Wien mitzutheilen: dieselbe lautet: Alex. Semo12. El Korreo di Vienna13 (Wr. Courier) II Rueppgasse 12. Hätte mir H. Prof. Mussafia den Namen Semo nicht mitgetheilt, so würde ich Ihnen keine Auskunft geben können, da unter den angeführten Zeitungen diese nicht vorkommt. Es soll auch eine Art von Gartenlaube erschienen sein oder noch erscheinen, worüber Sie der genannte Herr am besten unterrichten dürfte. Zuletzt noch eine Bitte. Könnten Sie mir nicht vielleicht die zwei Bogen Ihrer Einleitung zu Hăjdău's altr. Texten und Glossaren14 auf paar Tage [sic] senden?
Besitzt die Grazer Bibliothek die Publication der Société des anc. textes? Falls nicht, könnten Sie vielleicht die meinigen übernehmen?
Achtungsvoll
Jarník
Wien am 23. Oktober 1878
15 [Soeben schicke ich den Absagebrief an Henninger16; von Moldovan ist eine Sammlung Bücher gekommen, darunter die Grammatik des Radu Tempea17, Tentamen von Laurian18, Vorlesungen Hăjdău, über vergl. Grammatik, |3| Fabeln Cichindeals19 und einige andere von geringerem Interesse.20 In etwa 10 Tagen verspricht er eine andere Sendung].
1 Miklosich (1861) .
2 Bogdan Petriceicu Hasdeu (1838-1907), rumänischer Philologe, Historiker und Politiker. Seine Korrespondenz mit Schuchardt wurde von Mazzoni (1983) vollständig herausgegeben. Davor existierte schon eine Edition der Briefe Hasdeus an Schuchardt (Găzdaru 1971).
3 Napoleone Caix (1845-1882), romanistischer Philologe und Etymologe.
4 Im ersten Band des zitierten Werkes bezeichnet Hasdeu Cihacs Wörterbuch ( Cihac 1870) als "escellintele seŭ Dictionnaire d'etymologie daco-romane" ( Hasdeu 1873 : 85, Fußnote 245). Die Istoria critică wurde übrigens schon 1875 von Schuchardt rezensiert.
5 Zwischen Cihac und Hasdeu entbrannte eine heftige Polemik, die sich in jeweils kritischen Artikeln widerspiegelte, welche in den von Titu Maiorescu herausgegebenen Convorbiri literare und der Columna lui Traian erschienen. Es ging um rumänische Etymologien und – in weiterer Folge – um die Frage nach der Charakterisierung des "Rumänischen als romanische Sprache auf lateinischer Basis", welche "mit der Publikation des Wörterbuchs von A. de Cihac ( 1870/1879) gefährdet, da die Wörter lateinischen Ursprungs – Neologismen sind nicht berücksichtigt – dort nur etwa ein Fünftel ausmachten" ( Ernst 1998 : 767) und sogar um die Herkunft der Rumänen. So kritisierte Cihac in den Convorbiri (1875) einige Etymologien Hasdeus (aus Hasdeu 1874a , 1874b und 1874c ) aus dem Bereich der Landwirtschaft, des Weinanbaus und des Schafzuchtwesens. Daraufhin sparte Hasdeu nicht mit Kritik in Richtung Cihacs, welche insbesondere in den zwei Artikeln "Post-scriptum despre d. Cihac" ( Hasdeu 1876b ) und "Iarăşi d. Cihac! Căte-va precepte pentru începetorî în linguistică" ( Hasdeu 1876a ) und in der Rezension ( Hasdeu 1876c ) von Cihacs Artikel über Rabelais ( 1876a ) äußerst raue Töne annahm; Hasdeu stellte Cihac als Anfänger im Bereich der Etymologie dar und bezichtigte ihn zweier "păcate fundamentale […]: pre-mult dogmatism şi pre-puţină familiaritate cu legile fonologice" ( Hasdeu 1876b : 20). In seinen Studi di etimologia italiana e romanza (Caix 1878) nimmt Caix einmal explizit Stellung zugunsten einer Etymologie von Hasdeu gegen den Vorschlag von Cihac (cĭocĭ, vgl. Caix 1878: 100f.) und einmal indirekt, indem er allein Hasdeus Etymologie anführt (für brînza, nach Hasdeu ein trakisches Element, vgl. Caix 1878: 206). Der Streit ging in den folgenden Jahren weiter und manifestierte sich in Rezensionen, Stellungnahmen und anderen Schriften (vgl. Cihac 1876b , 1879-1880 , 1880a , 1880c , Hasdeu 1880a ), zu der auch die kurze Auseinandersetzung zwischen Gaster (vgl. Gaster 1879 , 1880 ) und Cihac (1880b) hinzukam. Auch nachdem Cihac aufgehört hatte, über Hasdeu zu schreiben, "totuşi acesta din urmă continuă nunumai să-l combată, dar săl stigmatizeze din punct de vedere social", wie Ionescu-Nişcov zurecht anmerkt, der die querelle gut und ausführlich darstellt (vgl. Jarník 1983 : 170f., Note 17).
6 Jarník war an der Erstellung des Index' zu Cihac (1879) mitbeteiligt, wie dieser (1879, XVIII) hervorhebt: "Je ne veux manquer, en terminant, de remercier M. le Dr. Jean Urbain Jarník de Vienne, du concours qu'il a bien voulu me donner dans la rédaction des Index de ce livre" und wie Jarník selbst in seiner Autobiographie ( 1909 : 531) schildert; vgl. dazu auch den Brief Jarníks an Gorovei vom 8.2.1914 ( Gorovei 1938 : 19f.).
7 Im Wintersemester 1878/79 las Jarník über "Laut- und Formenlehre des Rumänischen" ( Öffentliche Vorlesungen 1878/79: 51).
8 Am Ende dieser Seite und am Anfang von Seite 3 ist ein Nachtrag zu finden, der hier am Schluss des Briefes wiedergegeben wird.
9 Theodor Gartner (1843-1925), Schüler Mussafias, ab 1885 Professor für Romanische Philologie an der Universität Czernowitz, von 1889 bis 1913 Professor am damals neu errichteten Lehrstuhl für Romanische Philologie an der Universität Innsbruck. Gartner beschäftigte sich vor allem in seiner Czernowitzer Zeit mit dem Rumänischen, später wurde er zu einem der wichtigsten Vertreter der rätoromanischen Studien. Gerade 1878 war er in epistolarischen Kontakt zu Schuchardt getreten und blieb es bis kurz vor seinem Tode, wie die 223 Briefe, die er Schuchardt zwischen 1878 und 1924 schrieb und die im Schuchardtarchiv aufbewahrt sind (Archivnummer 03348-03570) eindrucksvoll belegen.
10 Auch im Brief an Ioan Micu Moldovan vom 22.11.1878 spricht Jarník die enttäuschende Anzahl an Zuhörern in seinem Kurs an: "Au fost acolo ca opt inşi, dară numai doi mi au adus indicele de subscris, ailalţi au asistat numai ca nişte oaspeţi. Poate că unul sau altul se va înscrie mai târziu, dară tot se vede că interesul studenţilor români, care studiază în Viena, nu-i aşa de mare cât am gândit eu, şi mai mult încă dl prof. Mussafia. Şi să nu gândeşti că aceştia doi domni sunt români: numai unul din ei este român, altul este un neamţ din Viena care, cum mi se pare, se prepară pentru doctoratul din limbile romane" ( Jarník, Zavoral, Jarník & Hušková-Flajšhansová 2005 : 60).
11 Es handelt sich um die rumänische Übersetzung der bilingual deutsch-griechisch erschienenen Arbeit von Rosa (1808) , die von Sergiu Hagiadi vorgenommen wurde ( Roja 1867 ).
12 Shem Tov Semo bzw. Alex Semo (1827-1881), aus Sarajevo stammender und in Wien tätiger sephardischer Journalist.
13 El Koreo de Vyena , alle zwei Monate erscheinende jüdische Zeitschrift aus Wien, gegründet von Alex Semo und publiziert zwischen 1869 und 1884 (vgl. Studemund-Halévy & Collin 2008 : 152).
14 Es handelt sich um die Anmerkungen Schuchardts (1880) zu Hasdeu (1878). Diese hätten als Einleitung zur Edition des rumänischen Philologen erscheinen sollen, wurden jedoch nicht rechtzeitig fertig gestellt, daher wurden sie von Hasdeu zusammen mit anderen Stellungnahmen zu seinem Werk in einem Suplement ( Hasdeu 1880b ) zur Publikation gebracht. Ein Großteil der Korrespondenz zwischen Schuchardt und Hasdeudreht sich um Schuchardts Anmerkungen (vgl. Mazzoni 1983).
15 Nachtrag.
16 Der Gebrüder Henninger Verlag aus Heilbronn, bei dem in dieser Zeit Gustav Gröber (vgl. unten) an einem großen synoptischen Werk zur romanischen Philologie arbeitete, wahrscheinlich dem später bei Trübner erschienenen Grundriß ( Gröber 1888-1902 ). Gröber hatte sich für den rumänischen Teil an Jarník gewandt (vgl. den Brief vom 23.10.1878 an Schuchardt, Archivnummer 04027), nach dessen Absage wandte er sich aber an Gaster (vgl. Brief vom 30.10.1878 an Schuchardt, Archivnummer 04028). Bei Henninger erschien später Gustav KörtingsEncyklopädie und Methodologie der romanischen Philologie ( Körting 1884-1888 ), welche als Konkurrenzarbeit zur geplanten Reihe der romanischen Grammatiken vom Eduard Weber's Verlag anzusehen ist, für die Schuchardt (und Jarník) die rumänische Grammatik hätte(n) übernehmen sollen und um die ein Großteil des Briefwechsels zwischen den beiden Sprachwissenschaftlern geht, vgl. unten.
17 Tempea (1797) .
18 Laurian(u) (1840) .
19 Wahrscheinlich Ţichindeal (1814 oder spätere Ausgabe).
20 Diese Bücher wurden Jarník von Ioan Micu Moldovan aus Blaj gesandt, wie dem Brief Jarníks vom 22.10.1878 zu entnehmen ist: "Azi am primit cărţile ce ai avut bunătatea Dta de [a] mi le trimite.Ţi mulţumesc din inimă şi te asigur că mi ai făcut plăcere mare, mai cu seamă cu câteva din ele prfecum] cu gramatica lui Radu Tempea, cu Tentamenu lui Laurian, cu Fabulele lui Cichindeal, cu cursul de filologie [al] lui Hasdeu4 şi alt[ele], ce nu mi ar fi cu putinţă să mi le procurez aicea" ( Jarník, Zavoral, Jarník & Hušková-Flajšhansová 2005 : 60; vgl. auch Bozac 1967 : 200).