Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (09-05073)

von Johann Urban Jarnik

an Hugo Schuchardt

Wien

25. 06. 1878

language Deutsch

Schlagwörter: Hofbibliothek Societatea Academică Literară "România Jună" Vergleichende Sprachwissenschaft Kaiserliche Akademie der Wissenschaften (Wien)language Sanskrit Mussafia, Adolf Moldovan, Ioan Micu Flittner, Julius Müller, Friedrich Hasdeu, Bogdan Petriceicu (1879)

Zitiervorschlag: Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (09-05073). Wien, 25. 06. 1878. Hrsg. von Luca Melchior (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2545, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2545.


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Wien am 25. Juni 1878.

Hochgeehrter Herr Professor!

Entschuldigen Sie mich zunächst, dass ich Ihren geschätzten Brief erst heute beantworte. Der Hauptgrund war der, dass ich früher mit Herrn Prof. Mussafia habe reden wollen, dann wollte ich auch die von Ihnen angeführte Stelle im port. Elucidario1 ansehen. Leider habe ich mich in der Hofbibliothek umsonst nach diesem Buche erkundigt; nicht nur im gewöhnl. Katalog habe ich es aufsuchen lassen, sondern auch im Zettelkatalog, doch ohne Erfolg. Dies hätte ich mir sogar ersparen können, wenn ich am vergangenen Sonntag nicht vergessen hätte, Herrn Prof. Mussafia darüber zu befragen.

Was nun unsere Grammatik betrifft, so beeile ich mich zu sagen, dass ich mich, was Honorarbedingungen betrifft, vollständig auf Sie verlasse und es mir nicht im Geringsten einfällt, bereits jetzt eine bestimmte Summe zu stipuliren. Es freut mich sehr, dass die Sache nunmehr doch perfect geworden ist und sobald nur die Ferien anfangen, werde ich mich mit dem grössten Eifer an die Arbeit machen. Dies wird auch unumgänglich notwendig sein: denn da ich im nächsten Wintersemester über rumänische Laut- und Flexionslehre zu lesen gedenke, muss ich doch, ehe ich überhaupt anfangen kann, das Material bis zu einer gewissen Grenze beisammen haben.2 Ich sehe wol ein, dass ich doch in den nächsten drei Monaten unmöglich Alles bewältigen |2| kann, was ich im Verlaufe des ganzen Jahres thun soll. Es handelt sich mir vor Allem darum, ein Canon von Büchern zusammenzustellen, auf die ich es vorderhand ganz besonders abgesehen haben müsste. Die Beschaffung dürfte mir nicht ernste Schwierigkeiten bereiten: einige besitze ich, andere werde ich mir von der hiesigen Universitätsbibliothek, der Romania Juna und dem Prof. Moldovan in Blasendorf zu verschaffen wissen.

Es wird, glaube ich, nicht ohne Nutzen für die Sache sein, wenn wir mitten im Wege dasjenige prüfen werden, was uns bis zu einem bestimmten Punkte an Material vorliegt. Da dürfte es sich ergeben, dass einige Punkte ganz fest stehen und dass die weiteren Collectaneen nur Beispiele desselben Vorganges sein werden; dagegen dürften sich Fälle darbieten, welche zweifelhaft sind, und da besonders wird es sich darum handeln, ja kein Beispiel zu übergehen, welches uns Aufschluss über den Vorgang geben kann. Von diesem Standpunkte aus betrachtet, hat dieser vorläufige Abschluss des Sammelns des Materials seine Wichtigkeit nicht nur für meine Vorlesungen, sondern auch für unsere Arbeit, daher ich Sie bitte, mir bei Aufstellung dieses Canon [sic] gütigst behülflich sein zu wollen.

Was nun die Orthographie betrifft, so ist es allerdings unumgänglich notwendig, dass wir uns darüber zunächst einigen. Die grösste Schwierigkeit, die Umschreibung der dumpfen Vokale ъ und ѫ oder ѧ könnte wenigstens für das Sammeln des Materials dadurch behoben werden, dass wir diese Zeichen beibehielten; bei den Consonanten würden wir uns der diakritischen Zeichen bedienen bei ţ, ş; für das gelinde s vielleicht überall z, nur müsste |3| für das in den moldauischen Drucken gebrauchte ein anderes Zeichen, etwa ſ in Anwendung gebracht werden. Für die Gutturalen k und g ist es schwer etwas festzustellen, wenn man sich nicht gar zu sehr von den im Gebrauche stehenden Orthographien entfernen will; vielleicht wäre doch das Princip des Ital. hier beizubehalten, vielleicht auch hier zu diakritischen Zeichen seine Zuflucht zu nehmen? Das letztere doch jedenfalls vor den harten Vocalen a, o, u als ća, ćo, ću, ǵa, ǵo, ǵu oder vielleicht besser noch der umgekehrte Circumflex ˇ wie im Böhmischen. Ich gestehe, dass mir das Zeichen ʹ, welches doch auch für die Bezeichnung des Akzentes angewendet werden muss, hier zur Bezeichnung der Palatalen nicht recht gefallen will. Ich denke mir auch, ob wir uns nicht an Hăjdău's Transcription3 halten sollten, da anzunehmen ist, dass auch die andern in Aussicht gestellten Ausgaben ältererer [sic] rum. Texte sich derselben bedienen werden.

Schliesslich noch ein Wort über die Erklärung, um die ich Sie gebeten habe. Ich ersehe mit Vergnügen aus Ihrem Briefe, dass Sie mich nicht missverstanden haben und mir nicht Absichten zumuthen, die mir nicht im Geringsten eingefallen sind. Es handelt sich mir einzig und allein darum, das Ministerium zu bewegen, mir für das nächste Schuljahr den mir so sehr notwendigen Urlaub zu gewähren, mich vom Unterricht an der Realschule zu dispensiren. Es wären meiner Meinung nach folgende Punkte aufzunehmen sein:

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1) der Titel des Werkes, welches unter unsern Namen erscheinen soll; 2) der hauptsächlichste Antheil, den ich daran haben werde; 3) die Frist, welche uns zur Abfassung gestellt und der Umfang, der uns zugestanden worden ist. Bitte besonders im Punkte 2) hervortreten zu lassen, dass die mir zukommende Arbeit sehr viel Zeit erfordert, so wie auch Punkt 3), dass uns eine so kurze Frist gestellt ist. Ich hoffe beinahe mit Zuversicht, den erbetenen Urlaub erlangen zu können, falls es mir gelingt, die Schritte wegen meiner Habilitation so weit zu thun, dass die diesbezüglichen Acte noch vor dem Ende des Sommersemesters an das Ministerium abgehen können.

Der Vorschlag Flittners betreffs einer Unterstützung von Seite der Wiener Akademie ist undurchführbar, darin stimmt Herr Prof. Mussafia als auch Müller4 vollständig überein.

Hochachtungsvoll
DrJohann Urban Jarník


1 Vielleicht Santa Rosa de Viterbo (1798-1799).

2 Im Wintersemester 1878-1879 hielt Jarník jedoch im Bereich der Rumänistik nur die Lehrveranstaltung "Lectüre und Erklärung altrumänischer Texte nach Ciparius Analecte literarie (Blasendorf 1858)" (Öffentliche Vorlesungen 1879/80: 52), bei der er "câteva prelegeri în limba română" hielt, "fiind astfel primul romanist care introduce româna ca limbă de predare într-o universitate străină" ( Ionescu-Nişcov in Jarník, Zavoral, Jarník & Hušková-Flajšhansová 2005 : 23); erst im Wintersemester 1880-1881 hielt er eine Lehrveranstaltung "Rumänische Grammatik (Laut- und Formenlehre)" (Öffentliche Vorlesungen 1880/81: 56).

3 Gemeint ist möglicherweise das Transkriptionssystem, das in Hasdeu (1878) für die Edition älterer rumänischer Texte angewandt wurde.

4 Friedrich Müller (1834-1898), österreichischer Sprachwissenschaftler, Professor für Sanskrit und vergleichende Sprachwissenschaft, Wirkliches Mitglied der Wiener Akademie der Wissenschaften. Auch er war Korrespondenzpartner von Schuchardt; im Universitätsarchiv Graz sind fünfzehn Briefe von ihm aufbewahrt (07571-07585).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05073)