Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (05-05069)

von Johann Urban Jarnik

an Hugo Schuchardt

Wien

19. 05. 1878

language Deutsch

Schlagwörter: Sprachvergleich Habilitation Kaiserliche und Königliche Hof-Bibliothek (Wien) Oxforder Psalter Hofbibliotheklanguage Spanischlanguage Rumänischlanguage Romanische Sprachen Mussafia, Adolf Wolf, Ferdinand

Zitiervorschlag: Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (05-05069). Wien, 19. 05. 1878. Hrsg. von Luca Melchior (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2541, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2541.


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Hochgeehrter Herr Professor!

Ich bitte um Verzeihung, dass ich das Gewünschte nicht gleich geschickt und es auch jetzt noch nicht thue. Es hat sich gezeigt, dass einige der ersten Bogen fehlen und ich mache mich jetzt daran, deren nochmalige Abschrift besorgen zu lassen. In acht Tagen hoffe ich mit Allem fertig zu werden und dann werde ich gewiss nicht säumen, Ihnen die beiden Exemplare zukommen zu lassen. Bitte dann zugleich mir bei Gelegenheit mitzutheilen, ob ich auch die ebenfalls autographirte Formenlehre seinerseits senden soll.

Nun möchte ich noch mir eine Frage erlauben. Als ich Sie das erste Mal |2| vom Herrn Prof. Mussafia in Ihr Hôtel begleitete, sprachen Sie mir, so viel ich wegen des Wagengerassels hören konnte davon, dass Sie eine kurz gefasste spanische Grammatik1 verfasst haben, nach deren Muster Sie die rumänische abgefasst sehen wollten. Mich interessiert dies um so mehr, als ich mich in der letztern Zeit auf das Studium des Spanischen geworfen habe und sogar Stunden bei einem geborenen Spanier, einem Ingenieur von Profession, nehme, der seit der Weltausstellung hier lebt und sich hier auch verheiratet hat.

Ich fühlte mich dazu förmlich gedrungen, schon darum, weil ich gerade im Spanischen bisher so geringe Kenntnisse hatte und mir der Gedanke unerträglich war, mich als Docent der romanischen Sprachen zu habilitiren, bevor ich mich mit diesem so wichtigen Zweige der romanischen Sprachfamilie |3| nicht näher vertraut gemacht habe. Ferner wurde ich dazu aufgemuntert durch die Hoffnung in der Wiener Hofbibliothek, wo ein Ferd. Wolf als Beamte [sic] functionnirt hatte, recht viele Hilfsmittel zu etwaigem gründlicheren Studium dieser Sprache und vielleicht gar Handschriften zu finden. Dem Herrn Prof. Mussafia, meinem hochverehrten Lehrer habe ich dies vorläufig verheimlicht, da ich ihm eine Überraschung erst dann bereiten möchte, bis ich grössere Fortschritte gemacht haben werde, als ich dies bis jetzt in der kurzen Zeit habe machen können. Ich bitte Sie daher, vorläufig auch in Ihren Briefen nichts davon zu erwähnen, bis der geeignete Moment kommt.

Ich muss diese Tage ernstlich daran denken das zur Lautlehre des Psalters gesammelte Material behufs meiner Habilitation zu sichten |4| und zu redigiren, damit, wo möglich, die Sache noch vor Schluss des Sommersemesters von der Facultät aus erledigt werden könne. Es ist in der That schon höchste Zeit, dass ich daran denke, da ich Ende dieser Woche mein dreissigstes Lebensjahr überschritten haben werde.

Ich bitte Sie um Verzeihung, dass ich Ihnen durch meinen Brief Ihre kostbare Zeit raube und zeichne mich hochachtungsvoll
Wien am 19. Mai 1878 
DrJohann Urb. Jarník


1 Es ist jedoch keine spanische Grammatik von Schuchardt bekannt. In der Lehre hatte Schuchardt in Leipzig aber auch das Fach Spanisch vertreten und im Winterhalbjahre 1872/1873 einen Kurs über " Spanische Grammatik mit Leseübungen" gehalten.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05069)