Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (02-05066)

von Johann Urban Jarnik

an Hugo Schuchardt

Wien

15. 12. 1877

language Deutsch

Schlagwörter: Buchveröffentlichung Phonetik Publikationsvorhaben Verlage Langenscheidt Märchen Romanische Philologie Berliner Gesellschaft für das Studium der neueren Sprachen Columna lui Traian, revistă mensuală pentru istoria, linguistică şi psicologia poporanălanguage Rumänischlanguage Altfranzösischlanguage Provenzalisch Meister, Richard Diez, Friedrich Ispirescu, Petre Gaster, Moses Maiorescu, Titu Liviu

Zitiervorschlag: Johann Urban Jarnik an Hugo Schuchardt (02-05066). Wien, 15. 12. 1877. Hrsg. von Luca Melchior (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2538, abgerufen am 18. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2538.


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Wien am 15. Dezember 1877

Hochgeehrter Herr Professor!

Ich würde es nicht wagen, Sie wieder mit meinen Zeilen zu belästigen, wenn Sie in Ihrem liebenswürdigen Brief selbst nicht den Wunsch geäussert hätten, ich möge Ihnen, wann ich Zeit dazu finde, einige Zeilen schreiben. Dies ist nun besonders jetzt der Fall, da ich in Folge eines, wenn auch fröhlichen Familienereignisses, ohnedies die ganze Woche zu keiner Arbeit gekommen bin. Ich will Ihnen nicht verschweigen, welcher Art dieses Ereignis war, wenn es Sie auch sehr wenig interessieren mag: es ist mir am letzten Mittwoch ein Sohn1 und zwar der erstgeborene geboren worden, morgen ist die Taufe und da können Sie sich wol denken, dass dies mannigfache Störung mit sich bringt. Da sehen Sie, wozu Sie ohne darauf gefasst worden zu sein, gekommen sind: statt von der Geburt irgend eines wissenschaftlichen Werkes meinerseits zu hören, erfahren Sie in optima forma die glückliche Entbindung meiner Frau. Nun, vielleicht habe ich Ihnen auch über das erstere etwas |2| zu berichten.

Zunächst will ich jedoch die Postkarte beantworten, die Sie so gütig waren, mir zu senden. Da ich mein rumänisches Glossar aus Mangel an Zetteln auf eine kurze Zeit zerstört habe, so kann ich nur mit Beispielen dienen, die mir augenblicklich gegenwärtig sind und die auch in meinem Artikel2 vorkommen und zwar S. 13, Z. 11 v.u. Strâmbă-lemne hier als Eigenname, eigentlich 'Holzspalter' und S. 16 Z. 23. v.o perde-vară welches ich durch "Sommerverlierer" übersetzen zu können glaubte. Ich bin aber überzeugt, dass sich derartige Beispiele bedeutend vermehren liessen.

Ferner fragen mich Herr Professor, ob ich meine rumänischen Studien fortsetzen will. Und da muss ich allerdings mit einem entschiedenen: Ja antworten. Ich würde es sogar vorziehen, mich schon jetzt ausschliesslich darauf zu verlegen, aber andererseits muss ich doch einsehen, dass das Studium des Afr. und Prov. vorderhand für mich doch noch wichtiger ist. Darum beschäftige ich mich mit einer Lautlehre des Oxforder Psalters, nachdem mir Herr Meister mit der Formenlehre3 zuvorgekommen ist, andererseits gedenke ich in Verbindung mit Herrn Dr Petry aus Remscheid eine vollständige Ausgabe des |3| prov. Romans Jaufre4 zu liefern. Die Handschrift B habe ich bereits mit der Abschrift verglichen und zurückgeschickt, jetzt erwarte ich nur die zweite A, was mit grossen Schwierigkeiten verbunden ist, da die letztere Miniaturen enthält.

Doch das sind Arbeiten, die erst der Vollendung harren, eine vollendete und bereits unter der Presse befindliche ist ein vollständiger Index zu Diez' etymologischem Wörterbuche5, welcher mit Unterstützung der Berliner Gesellschaft für das Studium der modernen Sprachen bis März nächsten Jahres bei Langenscheidt erscheinen dürfte.

Auf dem Gebiete des Rumänischen hoffe ich ebenfalls im Laufe dieses Jahres eine Arbeit zu vollenden, nämlich eine Ausgabe einiger noch unedirten [sic] Märchen aus der Sammlung des Ispirescu. Ich würde dazu ein auf alle bisherigen Erzeugnisse der rumänischen Volksmuse basirtes Glossar sowie auch grammatische Anmerkungen liefern, und diese Publication, an der ich mit dem relativ grössten Vergnügen arbeiten möchte, würde hoffentlich keine unwillkommene Gabe sein, da es bis jetzt |4| an echt rumänischen, fremden Forschern zugänglichen Texten fehlt. Dann würde doch die Idee die man sich gewöhnlich von dem Rumänischen macht, wenigstens einigermassen der Wahrheit sich nähern.

Ich fühle mich um so angeregter eine solche Arbeit zu unternehmen, als die von mir in sehr kurzer Zeit zu Stande gebrachte Kleinigkeit "Sprachliches aus rumänischen Volksmärchen" im Lande selbst mit grosser Anerkennung aufgenommen wurde. Vielleicht sind schon zur Stunde, wo ich diese Zeilen schreibe, ausführliche Kritiken darüber sowol in der Columna von Dr Gaster6 als auch in den Convorbiri von T. Maiorescu7 erschienen. Wenigstens versicherten mich dessen beide in den an mich gerichteten Schreiben. Aber jetzt will ich abbrechen, ohnedes ist der Brief länger geworden, als ich im Interesse Ihrer Augen gewollt hatte.

Ich zeichne mich in ergebenster

Hochachtung>

DrJohann Urb. Jarník
I Salzthorgasse 5
III Stock-8


1 Hertvík Otto Jarník (1877-1938), später seinerseits Rumänist, Schüler Mussafias und Wilhelm Meyer-Lübkes in Wien und danach Professor für Romanische Philologie an der Mazarikova Univerzita in Brno (1923-1938).

2 Hier ist wieder Jarník (1877) gemeint.

3 Meister (1877) .

4 Otto Petry hatte einige Jahre davor einen ersten Beitrag zum provenzalischen Roman de Jaufre geleistet (cf. Petry 1873 ).

5 Jarník (1878a) ; die Arbeit an dem Index bezeichnete Jarník in einem Brief an Ioan Micu Moldovan (datiert vom 5.1.1877) als "un lucru cam enuios […]. Nu am gândit că lucrul acesta va dura aşa de mult, dacă l-aş fi ştiut, poate că nu l-aş fi început deloc, dar acum trebuie să terminez, dacă nu voiesc să pierd tot timpul şî toată osteneala, ce m-a costat deja acest lucru" (ich zitiere nach der Edition in Jarník, Zavoral, Jarník & Hušková-Flajšhansová 2005: 41).

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Grigore Tocilescu hatte in einem Brief an Jarník vom 27.10.1877 (vgl. Jarník 1983: 298) angekündigt, dass GasterSprachliches aus rumänischen Volksmärchen für die Columna rezensieren sollte. Gaster hatte anscheinend in der Tat eine Rezension vorbereitet, die jedoch aufgrund des Russisch-Osmanischen Krieges 1877 und der daraus folgenden Unterbrechung der Publikation von der Zeitschrift Columna lui Traian nicht erscheinen konnte, wie Gaster in einem Brief an Jarník vom 31.3.1878 schreibt (ich zitiere nach der Edition von Ionescu-Nişcov ): "Prea onor[ate] domn,

O boală, care nu m-a părăsit încă cu totul, m-a oprit pînă acum a răspunde cît doream de iute pe scrisoarea plăcută a dumitale.

Cu mare plăcere mă pui la dispoziţiunea d-tale, cu atîta mai mare plăcere, că aş face printr-aceasta un serviciu oarecare limbii şi literaturii noastre.

Demult, încă înaintea venirii mele aci, dădusem deja recenziunea cărţii d-tale d-lui Hasdeu. Pînă acum am aşteptat în zadar ultimul Nr. al Columnei de la 1877. Desigur s-a întrerupt edarea Columnei din cauza războiului, cu toate că Hasdeu nu mi-a scris deloc în privinţa aceasta. Aş fi dară foarte voios a scrie o altă recenziune, mai bine germană, în orice ziar ştiinţific ar fi. La prof. Gröber însă nu se mai poate şi iată cauza. Cînd venisem aci îmi propuse d-nu[l] prof. a o recenza, eu insă aşteptînd că recenziunea rumânească o să apară in cursul lunei noiembrie, în Columna, am fost constrîns a o refuza. D-nu[l] prof. Gröber a trimes dar cartea lui Graff în Italia. Nu ştiu dacă a căpătat deja răspuns. Acum 3-4 săptămîni nu o avuse încă. Dacă voieşti d-ta dar a-mi numi vreun ziar oarecare, mă voi grăbi a împlini cu cea mai mare plăcere dorinţa d-tale. Se poate oare şi în Studiile lui Böhmer?"( Jarník 1983: 55); Gaster rezensierte schließlich das Werk mit sehr positiven Worten in der Zeitschrift für die österreichischen Gymnasien ( Gaster 1878a ).

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Titu Maiorescu schrieb am 16.10.1877 an Jarník (ich zitiere nach der Edition von Ionescu-Nişcov ): "Durch Dr. Gaster lerne ich eben Ihre Abhandlung ' Sprachliches aus rumänischen Volksmärchen' kennen. Es ist eine so gediegene und in ihrer prägnanten Eleganz so wohlgeordnete Arbeit, dass ich als Rumäne, dem die gesunde Entwickelung seiner Sprache am Herzen liegt, mich nicht enthalten kann – Jhnen meinen wärmsten Dank auszusprechen.

Eine Recension in den 'Convorbiri' soll unmittelbar folgen, ausführlicher als die ungenügende Notiz in No. 6 der ' Albine Carpaţilor '" ( Jarník 1983: 250). Weder in den letzten Ausgaben des Jahres 1877 noch in den Jahrgängen 1878 und 1879 der Convorbiri literare erschien jedoch besagte Rezension.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 05066)