Tullio Erber an Hugo Schuchardt (05-02762)
von Tullio Erber
an Hugo Schuchardt
18. 05. 1884
Deutsch
Schlagwörter: Sprachkontaktphänomene Morphosyntax phonolog. Prozesse / Lautentsprechungen / Korrelationen Universitätsangelegenheiten Universität Graz Italienisch Brunelli, Vitaliano
Zitiervorschlag: Tullio Erber an Hugo Schuchardt (05-02762). Zara, 18. 05. 1884. Hrsg. von Birgit Dorn (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2517, abgerufen am 01. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2517.
Geehrter Herr!
Nehmen Sie es mir nicht übel, wenn ich Sie heute in Ihren Arbeiten mit ein paar Zeilen störe, aber aufrichtig gestanden, peinigt mich seit lange der Gedanke, dass ich Ihre letzte Correspondenzcarte unbeantwortet ließ; und ich möchte Ihnen nicht den Eindruck lassen, als ob ich ein anmassender Mensch wäre, der sich seiner Pflicht, gegenüber einem Universitäts=Professor, nicht bewusst fühlt. Sie werden mich stets zu Diensten bereit finden, so oft Sie meiner Wenigkeit bedürfen werden; und mögen Ihre werten Aufträge noch so weitläufig sein, ich werde denselben aufs Bereitwilligste nachkommen. D.r Khull1 ist mein intimster Freund, und wenn Sie je die Sorge beschleichen könnte, dass ich etwas nicht gern thue, so wenden Sie sich gütigst an |2|ihn, er wird Ihnen schon sagen können, was ich für ein Mensch bin. Ich bedaure, dass ich mich heuer Ihnen nicht persönlich vorstellen kann, hoffe aber gewiss, im nächsten Jahre die Ehre zu haben, Ihre werte Bekanntschaft zu machen.
Wie fast jährlich habe ich noch immer mit meinen Augen zu leiden, die während der heißen Jahreszeit keine andauernde Anstrengung ertragen wollen; hoffentlich wird sich dieses Übel mit der Zeit legen, da ich sonst sehr gut sehe und nur beim Lesen sehr schwache bikonvexe Gläser brauche.
Nun schließlich auf das alte Thema zu kommen, will ich hier nur erwähnen, dass selbst Brunelli’s Kind das Reflexivum mit allen Personen gebraucht; und unlängst noch habe ich ein „mi se zogo“ aufgefangen, worüber mein phlegmatischer College Vitaliano nicht sehr erbaut war. Auch hörte ich oft in der letzten Zeit puplico statt pubblico, und carozata statt corazzata. Staunenswert ist noch, dass die gebildeten Leute nicht weniger als die |3|ungebildeten von der „fregata Schwanzenberg“ statt Schwarzenberg reden, worüber ich natürlich als über einen unparlamenterischen Ausdruck oft lachen muss.
Gegenwärtig befindet sich unser Professor B. Tilgner auf drei Wochen in Graz behufs Ergänzungsprüfung aus dem Lateinischen; wenn Sie daher irgend eine mündliche Auskunft wünschen, so können Sie ihn vor Ihr Richterstuhl citieren, vorausgesetzt, dass er sich nicht allein melden sollte, um Ihnen Brunelli’s und meine Empfehlungen zu entrichten.
Mit der Bitte mir auch künftighin Ihre werte Freundschaft gütigst zu bewahren und mit den herzlichsten Empfehlungen zeichne ich mich
Hochachtungsvollst
T. Erber
Zara am 18. Mai 1884.
1 Möglicherweise Ferdinand Khull-Kholwald (1854-1942), österreichischer Germanist, studierte deutsche und slawische Philologie und promovierte 1878. Khull unterrichtete in Graz (vgl. OEBL, s.v. Khull-Kholwald, Ferdinand).