Ernst Mach an Hugo Schuchardt (04-06747)
von Ernst Mach
an Hugo Schuchardt
09. 05. 1902
Deutsch
Schlagwörter: Internationale Verständigungssprache Reflexion über Korrespondenz Österreichische Akademie der Wissenschaften (Wien) Reflexion über Wissenschaftskommunikation Englisch
Plansprachen Couturat, Louis
Zitiervorschlag: Ernst Mach an Hugo Schuchardt (04-06747). Wien, 09. 05. 1902. Hrsg. von Johannes Mücke (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2495, abgerufen am 27. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2495.
Hochgeehrter Herr College !
Gewiss war meine Aeusserung über die internationale Sprache, die übrigens auch Couturat kennt, eine rein persönliche. Es wäre ja ganz aussichtslos, dieselbe öffentlich zu vertreten.-- Natürlich würde die englische Sprache als die schon gegenwärtig verbreitetste gewählt werden, wenn auf eine der schon gebräuchlichen Sprachen die Wahl fallen müsste. Hiebei würde mich nicht geniren, dass der Engländer einen Vortheil hätte, den ich in keinem Fall haben kann. Die Schwierigkeiten, die uns, insbesondere mir als Nichtphilologen erwachsen würden, weiss ich ganz wohl zu würdigen. Ohne ein gewisses Opfer wird es bei der Sache überhaupt nicht abgehn. Dieses Opfer wird aber mit der Dauer der Einführung immer kleiner und kleiner werden, und es ist mir recht fraglich, ob dasselbe bei der Einführung einer künstlichen Sprache wenigstens anfänglich für alle nicht recht gross ist. Es ist kein Zweifel, das Höchste und Tiefste können wir nur in unserer Muttersprache ausdrücken, weil nur da bei jedem Wort uns unbewusst die ganze Sp[r]ach- und Litteraturgeschichte anklingt. So etwas in der neuen Kunstsprache auszudrücken, die überhaupt erst an dem Anfangspunkt ihrer Geschichte steht, wird gewiss noch viel schwieriger sein, als dasselbe englisch oder französisch zu sagen. Ich denke natürlich nicht daran, das alles öffentlich zu vertreten und finde den Standpunkt der Delegation von praktischem Gesichtspunkt aus vollkommen verständlich und gerechtfertigt.
In Bezug auf das Briefschreiben sympathisire ich ganz mit Ihnen. In jungen Jahren beantwortete ich einen fremdsprachigen Brief nach Möglich-|2|keit in derselben Sprache. Gegenwärtig schreibe ich deutsch. Eine Ausnahme mache ich nur bei ganz alten Herrn, welchen man doch nicht mehr zumuthen kann in die Schule zu gehn, und deren Verdienste diese Rücksicht rechtfertigen. Auch in Bezug auf das Lesen und Verstehen stimme ich Ihnen vollkommen bei. Für einen Chauvinisten halte ich Sie nicht. Ich bitte Sie aber auch mich nicht für einen Abtrünnigen zu halten. Die internationale Culturbewegung ist mir so wichtig, dass mir dieselbe auch grosser Zugeständnisse werth scheint.
Couturat hat einen ganzen Haufen Schriften an die Akademie geschickt. Sie dürften also die Collegen vorbereitet finden, falls Sie, wie ich hoffe zu meiner Freude doch nach Wien kommen.
Mit hochachtungsvollem Gruss
Wien 9/V 1902
Ihr stets ergebener
Dr. Ernst Mach