Ernst Mach an Hugo Schuchardt (02-06746)

von Ernst Mach

an Hugo Schuchardt

Wien

19. 04. 1902

language Deutsch

Schlagwörter: Österreichische Akademie der Wissenschaften (Wien) Weltsprache Internationale Verständigungssprache Biographischeslanguage Plansprachen Gomperz, Theodor Couturat, Louis Couturat, Louis (1902) Eichner, Heiner (2012)

Zitiervorschlag: Ernst Mach an Hugo Schuchardt (02-06746). Wien, 19. 04. 1902. Hrsg. von Johannes Mücke (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2493, abgerufen am 27. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2493.


|1|

Hochgeehrter Herr College!

Wenn Sie der Sache das Opfer bringen wollten, nach Wien zu kommen, würden wir uns alle sehr freuen. Niemand wird ja verlangen, dass Sie zur feierlichen Sitzung oder zum Diner kommen.1 Ich habe heute mit Gomperz2 gesprochen; er war eben nicht sehr orientirt über die Angelegenheit, steht derselben aber durchaus nicht ablehnend gegenüber. Vor allem muss Couturat mindestestens [sic] 10-20 Exemplare des Prospectes3 senden, damit die Herrn klar werden können, um was es sich handelt.

Gewiss werden manche Herrn Ihre Bedenken haben. Auch mir wäre es sympathischer, wenn eine vorhandene Cultursprache zur wissenschaftlichen Verkehrssprache gewählt würde, und es würde mir wenig darauf ankommen, welche das wäre. Da wir nun aber einmal in Europa nicht so gescheit sind wie in Japan, so mögen wir den andern Weg einschlagen. Haben wir Eisenbahnen gebaut, ohne zu warten, dass sich dieselben nach der Darwinschen Theorie entwickeln, so können sich auch unsere Sprachgelehrten einmal an einer sprachtechnischen Leistung versuchen.

Der Akademie wird ja recht wenig zugemuthet. Dieselbe soll einfach Sie delegiren, damit Sie mit dem Comité4 in Verbindung und Fühlung bleiben, und den Fortschritt der Arbeit im Auge behalten. Daraus kann doch in keinem Fall ein Unglück entstehen.

Ich danke für die theilnehmende Erkundigung nach meiner Gesundheit. Ich bin motorisch sehr geschädigt, und das hindert mich natürlich überall. Sonst befinde ich mich leidlich.

Mit den herzlichsten Wünschen für Ihr Wohlsein, ho[ch]achtungsvoll grüssend,

Wien 19/IV 1902

Ihr ergebenster

Dr Ernst Mach


1 Am 28.05.1902 fand die turnusmäßige 'Feierliche Sitzung der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften' in Wien statt (vgl. [o. A.] 1902). Ob Schuchardt teilnahm, ist nicht bekannt. Eine Woche früher, am 21.05.1902, fand die XIII. Sitzung der philosophisch-historischen Classe statt, über die in den Sitzungsberichten zu lesen ist ([o.A.] 1902-1903: VI): "Der Secretär legt mehrere Exemplare des auf Wunsch des w. M. Herrn Hofrathes Schuchardt übersandten Werkes vor: 'Die internationale Sprache'  von L. Couturat. Abgedruckt aus Ostwald's Annalen der Naturphilosophie. Band I. Zur Kenntnis." Schuchardt (1904: 281) berichtet: "Die kaiserliche Akademie der Wissenschaften hat mich unterm 4. Juli 1902 aufgefordert, 'die auf Schaffung einer künstlichen internationalen Hilfssprache gerichtete Bewegung im Auge zu behalten und vorkommendenfalls über selbe an die Akademie zu berichten'".

2 Der klassische Philologe Theodor Gomperz (1832-1912) war ebenfalls wirkliches Mitglied der philosophisch-historischen Classe der Wiener Akademie der Wissenschaften.

3 Gemeint ist wahrscheinlich 'Die internationale Sprache' (Couturat 1902).

4 Unklar. 1901 gründeten Louis Couturat und Léopold Leau (1848–1943) die Délégation pour l'adoption d'une langue auxiliaire internationale. Ein comité wurde allerdings erst 1907 eingerichtet, um darüber zu entscheiden, welche internationale Hilfssprache genutzt werden sollte. Vgl. dazu auch Eichner (2012).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 06746)