Hugo Schuchardt an Adolf Mussafia (43-SM16)

von Hugo Schuchardt

an Adolf Mussafia

Graz

10. 02. 1882

language Deutsch

Schlagwörter: Österreichische Akademie der Wissenschaften (Wien) Bibliotheken und Bibliothekswesen Kaiserliche und Königliche Hof-Bibliothek (Wien) Miklosich, Franz von Birk, Ernst von Richter, Elise (1928)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Adolf Mussafia (43-SM16). Graz, 10. 02. 1882. Hrsg. von Klaus Lichem und Wolfgang Würdinger (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2371, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2371.


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Graz, 10 Febr. 1882.

Lieber Freund,

Obwohl dieser Brief Ihrerseits vielleicht wenig Beachtung und keine Antwort finden wird, schreibe ich ihn doch.

Miklosich schrieb mir vor einiger Zeit, dass er sowohl wie Sie mir von dem Schritt bei der Akademie wie beim Obersthofmeisteramt abgerathen haben würden. Gründe hat er nicht angegeben, ebensowenig (was ich sonst thun sollte. (vielleicht betteln, nachdem ich gebeten hatte). Sie wissen, dass ich mich nicht nur als Gelehrter geschädigt, sondern auch als Gentleman gekränkt fühle; Sie wissen, dass mir Portiersnaturen und Portiersmanieren stets verhasst gewesen sind. Also wundern Sie sich nicht, dass ich gegen Birk1 mit aller Entschiedenheit vorgehe. Ich habe dem Obersthofmeisteramt gesagt, dass wenn man von Birk nichts Anderes erwarten könnte, doch zum Mindesten Höflichkeit. |2| Und die letzte Dosis Rhabarber, die ich verabreichte, wirkte sehr rasch. Am Samstag vor 8 Tagen erklärte ich an das Obersthofmeisteramt, dass Birk nicht einmal die Recepisse auf mehrfaches Verlangen zurückgeschickt habe und dass "ich in seinem ganzen Verfahren eine Willkür erblicke, wie ich bis dahin sie bei keinem östr. Beamten erhört noch erlebt habe." Am folgenden Morgen traf eine Depesche vom Obersthofmeisteramt ein, die Bücher würden kommen. Man scheint den magistrum Betulam am Sonntag Morgen citirt zu haben.2

Die Fassung meines ersten Schreibens an die Akademie war eine unglückliche, wenn man will; aber über die Form durfte die Sache nicht übersehen werden, die Akademie musste sich des Rechtes eines ihrer korr. Mitglieder annehmen, durfte nicht bei dieser Gelegenheit den Birk der |3| unausgesetzt liberalster Förderung der Wissenschafter beschuldigen.

Ich habe nicht gewusst, dass mein Gesuch in vertraulicher Sitzung abgelehnt wurde. Aber wenn dem so war, wie durfte Birk aus einer solchen Sitzung in einem offiziellen Schreiben Mittheilungen machen? Und durfte er es; so durfte ich, da mir dazu auf offiziellem Wege Kunde wurde, wiederum doch eine Bestätigung verlangen.

Quod licet Iovi

Non licet bovi,

das ist in Wien der herrschende Grundsatz, und daher erklären sich die zahlreichen Missstände, die man dort an allen Ecken und Enden wahrnimmt. Ich begreife nicht, wie man die Wahrheit lieben kann ohne die Gerechtigkeit. |4| Bei jeder Gelegenheit heisst es: "laufen lassen! keinen Skandal! keine Aufregung!" u.s.w. Ich erkenne jetzt, wie wahr die herben Äusserungen gewesen sind, die Sie vor fast 20 Jahren mir in Gotha über die östreichische sogennante bonhommie machten.

Ich hoffe, dass das Obersthofmeisteramt gerecht und richtig entscheiden wird; im andern Falle steht mir immer noch die Presse offen. Herr von Birk hat seinen Humor noch nicht gänzlich verloren; als ich nach 2 Monaten die gewünschten Bücher endlich erhielt, geschah es mit den Worten: "um einem, wie es scheint, dringendem litterarischem Bedürfniss abzuhelfen." Er soll seinen Humor verlieren.

Indem ich hoffe dass es Ihnen gut geht und ich Sie bitte mich der Gemahlin bestens zu empfehlen

bin ich Ihr

treuergebener

Hugo Schuchardt


1 Ernst von Birk (1810 - 1891) war Kustos der kaiserlichen Hofbibliothek.

2 Ein Hinweis auf diese Affaire findet sich nur im Nachruf von Elise Richter: 'Hugo Schuchardt. 1842 - 1927' In Richter, Elise.Kleinere Schriften zur allgemeinen und romanischen Sprachwissenschaft, hrsg. v. Yakov Malkiel u. Wolfgang Meid, Innsbruck, 1977, 473-504; vgl. v.a. 493 f.: "In späteren Jahren war er so verösterreichert, daß er es an den in Österreich üblichen Schimpfereien über alles Österreichische nicht fehlen ließ. 'Energie und rücksichtsloser Gerechtigkeitssinn sind in Wien ziemlich unbekannte Dinge. Eine schlappe, farblose Bonhomie, lauter Opportunität, Schlamperei.' (Die Hofbibliothek hatte Schwierigkeiten bei der Bücherentlehnung gemacht! 1882.)."

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Biblioteca Umanistica dell'Università degli studi di Firenze. (Sig. SM16)