Hugo Schuchardt an Adolf Mussafia (35-SM15)

von Hugo Schuchardt

an Adolf Mussafia

Graz

16. 10. 1879

language Deutsch

Schlagwörter: Biographisches Universitätsangelegenheiten Universität Graz Romanische Studien Zeitschrift für romanische Philologie Jarnik, Johann Urban Foerster, Wendelin (1879) Schuchardt, Hugo (1880)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Adolf Mussafia (35-SM15). Graz, 16. 10. 1879. Hrsg. von Klaus Lichem und Wolfgang Würdinger (2015). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2361, abgerufen am 26. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2361.


|1|

Graz. 16 Okt. 79.

Lieber Freund!

Hoffentlich haben Sie wegen Ihres Geldes keine Sorge gehabt; ich wollte es mit einigen Zeilen begleiten; fand aber dazu über die ersten mechanischen Beschäftigungen, wie sie nur nach einer langen Abwesenheit in Anspruch nehmen, keine Zeit.

Die ersten Tage hier waren wundervoll; vorgestern machte ich mit Botteri einen stundenlangen Spaziergang, wobei er sehr viel Spanisch lernte, heute schneit es nach Herzenslust und die herrliche Aussicht, die ich von meinem Thurm |2| aus hatte, ist gänzlich verhüllt.

Unsere Universität scheint langsam dem Untergang entgegen zu gehen; die Zahl der bis jetzt Neu-inskribirten ist eine ausserordentlich geringe, dagegen mehrt sich von Semester zu Semester die Zahl derjenigen Docenten, die von ihrem Hörer sprechen. Ob wir vielleicht alle einmal pensionirt werden? Oder als Elementarlehrer versandt?

Haben Sie nicht in Erfahrung gebracht, wer jene reizende Nymphe war, die in der Rotunde vor dem Kiosk stand und Cigaretten drehte? Ich sollte zwar eigentlich jetzt nur an altfranz. a-e-o1 denken, aber da das Weib das A und O der Schöpfung ist, so kommt man vielleicht auf diesem Wege rascher und angenehmer zur Erkentniss der letzten Wahrheit, als auf dem dornigen und verwickelten Pfade, der sich durch die Zeitschrift und |3| die Romanischen Studien hinschlängelt. A propos, ich habe in der letzten die Predigten, welche Foerster publizirt hat2, angefangen zu lesen und ärgere mich, dass eine so hübsche Arbeit von einem so rohen und banausischen Kerl ausgehen musste.

Wenn Sie Jarnik sehen sollten, so entschuldigen Sie mich, ich bitte, dass ich ihn nicht besucht habe; ich werde ihm demnächst schreiben. Empfehlen Sie mich bestens Ihrer Frau Gemahlin und bleiben Sie so munter, wie ich Sie das letzte Mal gefunden habe, und gegen mich immer von derselben Gesinnung.

Ihr treu ergebener
Hugo Schuchardt

Anbei fünf Zehner mit bestem Danke!


1 Es scheint sich um eine Anspielung auf Schuchardts Vorlesungsthema im Wintersemester 1879/80 zu handeln: Französische Laut- und Formenlehre.

2 Foerster, Wendelin. 1879. 'Beiträge zur romanischen Lautlehre. Umlaut (eigentlich Vokalsteigerung) im Romanischen'. In Zeitschrift für romanische Philologie 3, 481-517. - Schuchardt rezensierte diesen Aufsatz: Schuchardt, Hugo. 1880. 'Zu Foerster's romanischer 'Vokalsteigerung''. In Zeitschrift für romanische Philologie 4, 113-123 (Brevier-/Archivnr. 119).

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung der Biblioteca Umanistica dell'Università degli studi di Firenze. (Sig. SM15)