Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (393-11148)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Bonn

20. 06. 1924

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Marburg Meyer-Lübke, Wilhelm Riegler, Theodor Riegler, Richard Vossler, Karl Spitzer, Emma Spitzer, Wolfgang Wien Meyer-Lübke, Wilhelm (1920)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (393-11148). Bonn, 20. 06. 1924. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2239, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2239.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Bonn, 20. 6. 1924

Verehrter lieber Freund,

beruhigen Sie mich bitte etwas ausführlicher über Ihr Befinden. Was war es?

Den Wölfflinbeitrag sende ich mit der Bitte um Retournierung. Sie kommen ja darin auch vor.

M-L's Einführg ist bloß in 3. Aufl. erschienen1 u. in dieser ist auch schon die Polarität Biologie-Paläont. beseitigt.

Theo Riegler werde ich erst schreiben, bis er meinen sehr ausführlichen Brief über seinen Stil, seine Neigung zum Journalismus usw. beantwortet haben wird. Augenblicklich ist er in Wien – worüber sein Vater tobt. Ich werde mich von nun an in der Riegler-Familie ziemlich neutral verhalten, da ich weder den Standpunkt des Vaters noch den des Sohnes billige.

Die Regierung hat nun bei M-L und Vossler sich über mich erkundigt u. dem Vernehmen nach sehr gute Auskünfte erhalten. Das scheint sie aber – relata refero – nicht zu hindern, doch meine Präterierung ins Auge zu fassen – aus Angst "um mich". D.h. also die Pogromstimmung hat Erfolg. Was das in mir für Empfindungen wachruft, können Sie sich denken – und vor allem in meiner Frau, die knapp vor ihrer Abreise |2|den in Berlin gewesenen Walzel traf, der ihr auf ihre Frage, wie die Sache stehe, antwortete: "Schlecht." Die Tränen, die sie vergoß, mögen jener wackeren Christenmänner in Mbg. Gewissen erschüttern. Ich erwarte nichts mehr. Bitte aber doch strengste Diskretion zu üben, da man ja noch nichts Definitives weiß. – Nun bin ich allein. Meine Frau fuhr allein mit dem kleinen Teufel nach P. und wird nach den 26 Stunden ununterbrochener Fahrt halbtot angekommen sein.

Nehmen Sie herzlichste Grüße.

Meinen Brief haben Sie wohl bekommen?

Ihr Spitzer


1 Wilhelm Meyer-Lübke, Einführung in das Studium der romanischen Sprachwissenschaft (3. Auflage) 1920.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11148)