Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (362-11121)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Unbekannt

1923

language Deutsch

Schlagwörter: Die Neueren Sprachenlanguage Portugiesisch Vossler, Karl Brugmann, Karl Friedrich Christian Küchler, Walther Jud, Jakob Gilliéron, Jules Schürr, Friedrich Österreich Küchler, Walther (1922) Spitzer, Leo (1922) Millardet, Georges (1923) Nunes, José Joaquim (1919)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (362-11121). Unbekannt, 1923. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2208, abgerufen am 18. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2208.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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aus antisemitischen Gründen dagegen ist, auch die Regierung derzeit nichts bewilligen könnte. So muß ich denn mein Brot auf andere Weise verdienen u. werde daher im 2. Semester etwas kürzer lesen, um einen Plan auszuführen, der der einzige zu sein scheint, auf dem ich das Notwendige mir verschaffen kann.

Viertens: die allgemeine Lage im deutschen Reich. Ich beurteile sie leider sehr pessimistisch. Hier glauben zwar Studenten wie Professoren, der Widerstand im Ruhrgebiet könne den Abbruch der franz. Gewaltaktion hervorrufen. Leider kann ich das nicht glauben, so weh es mir tut. Ich sehe einen jahrelangen Wirtschaftskrieg voraus, der ärger wirken wird als in unserem armen Österreich.

Der Vosslersche Vortrag hat auch mir wohlgetan, aber er wird in seiner Wirkung sehr gedämpft durch die regierungsmäßige Begünstigung der Nationalsozialisten in Bayern, also gerade jenes Hakenkreuzlertums, gegen das Vossler sich so mannhaft wendet. Nicht ganz einverstanden bin ich damit, daß V. die Kavaliersperspektive, wie sie etwa Leibniz oder |2|Lessing von allen Wissenschaften hatten, als veraltet ablehnt. Das Spezialistentum ist es ja gerade, das uns so verknöchert. Gerade das Unspezialistische ist es, das Vosslers Stärke ausmacht. Auch ist nicht gesagt, daß Forscherergebnisse stets als Erlebnisse präsentiert würden. Wer etwa Brugmann gehört hat, wird das nicht unterschreiben.

Die liebenswürdige Kritik des Sch. Breviers in "Neuere Sprachen" (von Küchler) werden Sie gelesen haben. Allerdings Sie als "Naturforscher" hinzustellen ist wohl ein Mißgriff. Ich habe an Jud zweimal wegen einer Finanzierung der Neueren Spr. geschrieben – ohne Antwort zu erhalten. Sollte Jud vielleicht gar die deutschfeindliche Haltung auch auf mich ausdehnen? Er hat sich übrigens in letzter Zeit mit Gilliéron brouilliert oder besser gesagt dieser mit ihm. Kennen Sie Millardets Buch über Dialektologie?1 Lasciate ogni speranza, daß man das zu sehen kriegt. Kennen Sie die ptg. Grammatik von Nunes?2

Wie steht eigentlich die Angelegenheit Schürr? Ist er berufen?

Verleben Sie einen frohen Geburtstag und gedenken Sie bitte Ihres nicht gerade vom Glück verfolgten
Spitzer


1 Georges Millardet, Linguistique et dialectologie romanes.Paris: Champion 1923.

2 José Joaquim Nunes, Compêndio de gramática histórica portuguesa. Lissabon: Teixeira 1919.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11121)