Carolina Michaëlis de Vasconcelos an Hugo Schuchardt (3-7314)

von Carolina Michaëlis de Vasconcelos

an Hugo Schuchardt

Porto

29. 05. 1878

language Deutsch

Schlagwörter: Publikationsversand Biographisches Übersetzung Publikationsvorhaben Curso Superior de Letras Schaffung von Lehrstühlen Lexikographie Etymologie Publikationswesen Kritik Romanische Philologie Literaturempfehlung Göttingische Gelehrte Anzeigen A Renascença Kreolistiklanguage Portugiesisch Schuchardt, Hugo (1878) Diniz, Júlio (1875) Moreira de Sousa, Sílvio A. (2007) Coelho, Francisco Adolpho (1879) Coelho, Francisco Adolpho (1890) Le Coultre, J. (1877)

Zitiervorschlag: Carolina Michaëlis de Vasconcelos an Hugo Schuchardt (3-7314). Porto, 29. 05. 1878. Hrsg. von Bernhard Hurch (2013). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.220, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.220.

Printedition: Hurch, Bernhard (2009): "In der Phäakenluft von Graz bin ich erst recht faul geworden." Der Briefwechsel von Caroline Michaëlis de Vasconcellos und Hugo Schuchardt. In: Grazer Linguistische Studien. Bd. 72., S. 19-111.


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Porto Rua da Rainha 89 29/5 78

Sehr geehrter Herr,

ich antworte auf Ihre freundliche Sendung die mir große Freude bereitet hat – größere vielleicht noch meinem Mann der für seinen Julio Diniz schwärmt – indem ich Ihnen einen anderen, noch nicht von Brockhaus abgedruckten Roman des selben sende.1 Sollten Sie wieder einmal in einer verlorenen Stunde nach einem halb heiteren, halb melancholischen Zerstreuungsbüchlein suchen, so lesen Sie, bitte, diese Casa Mourisca die ich im vorigen Jahr in Leça in den leeren Stunden der Badekur mit großem Genusse durchflogen. Oder waren Sie es nicht, der mir Ihr Feuilleton der Freien Presse zugesandt? Gleichviel, die frohe Stunde danke ich Ihnen, mein Dank geht also doch den weiten Weg. – Einen kleinen bitteren Beigeschmack hatte freilich meine Freude: das böse Gewissen klagte mich an! längst hätte ich über Diniz etwas sagen, ihn einem weiteren Publikum als einigen guten Freunden vorstellen müssen. Hatten auch Sie, hochgeehrter Herr, vielleicht so mahnen wollen? – Als Schein einer Entschuldigung mag es gelten daß jene deutschen Freunde dem einfachen unfranzösischen Diniz gar keinen Geschmack abgewinnen konnten – und ferner daß eine Dame sobald sie Frau und Mutter eines kleinen allerliebsten Buben ist die Zeit die sie litter. Arbeit widmen will doch ziemlich mühsam erobern muß.2

Es sind nicht zehn Stunden vergangen seit ich Ihren Artikel erhalten und gelesen – die Idee die mir beim Lesen kam, ihn für ein |2| pg. Blatt (A Renascença) zu übersetzen, deren Redacteur mich mit der Bitte um einige Worte über Diniz geradezu verfolgt, ist also noch ziemlich unreif. Doch spreche ich sie aus und bitte um Ihre Genehmigung für den Fall daß es mir gelingen sollte das deutsche Gewand in ein erträgliches pg. umzuwandeln – was nicht ganz leicht sein wird.

Ich schließe mit der frohen Nachricht daß in Lisboa am Curso Superior das Lettras endlich eine Cadeira für Romanische Sprachen gegründet ist, die aller Wahrscheinlichkeit nach Coelho3 zufallen wird, der nach langer durch Not erzwungener Pause dann wieder richtig ans Werk gehen will. Ein Diccionario Etymologico von ihm so wie eine herzliche Sammlung pg. Mährchen sind übrigens im Druck.4 Gestern sah ich die Druckprobe des 24ten Bogens des ersteren für Coelho durch, – Doch nein, ehe schließe muß ich noch eines fragen – und wenn Sie ein Gutwort – frank und frei darauf geben wollen, würden Sie mir einen großen Gefallen tun. Stimmen Sie dem Urteil absolut bei daß [!]Le Coultre in den G.G.A.5 über meine Studien gefällt hat? ist der Ausdruck "bedauernswerte Unwissenschaftlichkeit" richtig? oder soll bedauernswerte nur gleichbedeutend sein mit "die ich bedauere" und in wohlwollendem Sinne gesprochen. Dieser Ausdruck ist das einzige an der Kritik das ich lieber nicht gehört hätte – denn wenn er im bösen scharfen Sinne zutreffend wäre ... Jedenfalls rechtfertigen ihn die wenigen Beispiele von wirklich falschen die Herr L. C. ausgiebt – denn nicht alles, was er als solches ausgiebt, ist es wirklich – durchaus nicht.

Mit ergebenem freundlichen Gruß, etwas hastig wach am Bette ihres Kindes

Carolina Michaëlis de Vasconcellos


1 Unter dem Titel 'Eine portugiesische Dorfgeschichte' veröffentlicht HS (1878; Brevier/Archiv Nr. 109) in der Neuen Freien Presse eine immerhin 10-seitige Besprechung von Julio Diniz' Roman 'Die Mündel des Pfarrers' (Leipzig, Brockhaus 1875; Orig.: As pupillas do snr. reitor. Chronica da aldeia. Porto 1866). Ob es durch CMdV zu einer Übersetzung ins Portugiesische kam, ist fraglich. Schuchardts Unterlagen ist darüber nichts zu entnehmen.

2 Im Dezember 1877 kam Michaëlis' Sohn Carlos zur Welt.

3 (Francisco) Adolpho [Adolfo] Coelho (1847-1919), portugiesischer Sprachwissenschaftler, Ethnologe mit großen Interessen in Kreolistik und Erziehungswissenschaft, ab 1873 unterhielt er ebenfalls eine ausführliche Korrespondenz mit Schuchardt (Nrn. 1652-1684). Letzere wurde aufgearbeitet von Moreira de Sousa (2007).

4 F. A. Coelho (1879); das etymologische Wörterbuch erscheint aber erst einige Jahre später ( Coelho 1890).

5 (Jean) Jules Le Coultre (1877) schreibt in den Göttinger Gelehrten Anzeigen eine Rezension von CMdVs Studien zur romanischen Wortschöpfung. Der in der Tat sehr negativ wirkende Schlußsatz (p.1270) steht allerdings in Gegensatz zu mancher positiven und anerkennenden Bemerkung im Text und akademische Misogynie ist keineswegs auszuschließen.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 7314)