Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (347-11108)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Bonn

20. 07. 1922

language Deutsch

Schlagwörter: Etymologielanguage Portugiesisch Oehl, Wilhelm Pușcariu, Sextil Lewy, Ernst Urtel, Hermann Lewy, Ernst (1913)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (347-11108). Bonn, 20. 07. 1922. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2191, abgerufen am 31. 03. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2191.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Bonn, 20. VII.

Verehrter lieber Freund,

heute kommt – nach Absendung meines gestrigen Briefes – Ihr Brief. Sie ersehen aus meinem gestrigen Schreiben, daß ich unaufgefordert Ihre geistigen Interessen gewahrt habe. Öhl war auch ziemlich beschämt. "Offizielle Romanistik" ist eben immer ein Wörterbuch- oder Grammatikfabrikant. "Schreiben Sie einmal eine Grammatik", sagt Meisner, der mich offiziell haben möchte. Wie aber, wenn man das nicht kann? – Unter Bildwörter würde man Wörter verstehen, die ein Bild des Gegenstandes geben. Deren gibt es wohl nicht. Dagegen eine Bildschrift. – Ptg. bargante ist doch wohl einfach ein Brigant, der baragoniner (Rotwelsch sprechen) tut.

In Puşcariu's Abhandlung stört mich Verschiedenes: In dem Ausdruck lex phonetica war doch eher der erste als der zweite Terminus ersatzbedürftig. Zweitens: das Talent für die Sprache soll maßgebend sein für die Kategorienbildung – das Sprachtalent erfordert nur u.a. die Fähigkeit zur Abstraktion u.zw. zur richtigen, d.h. in der Sprachgemeinschaft üblichen Abstraktion.

Einen sehr interessanten Briefwechsel führe ich jetzt mit dem Ugro-Finniker Ernst Lewy, der über die Sprache Goethes in ihrem Verhältnis zu den Eskimosprachen (!) geschrieben hat,1 aber trotz alles Abstrusen ein sehr origineller Kopf ist. Zugleich |2|Freund Urtels und Simonyis.

Ob ich als Ablagerungsstätte für Etymologien, die Sie selbst nicht publizieren, dienen kann, ist fraglich. Ich habe eine ausgesprochene Scheu vor Verwendung fremden geistigen Eigentums – daher die peinlich genaue u. überladene Zitierweise, die an mir oft getadelt wurde. Ich zitiere sogar fremde Gedanken, die mir brieflich ausgedrückt worden sind, auch wenn ich selbst inzwischen draufgekommen bin (so gerade in dem assentieren-Aufsatz).

Beste Grüße und muten Sie sich nicht zu viel Turnübungen zu!

Spitzer


1 Spitzer erwähnt Ernst Lewy des öfteren, er hat auch bereits dessen Buch Zur Sprache des alten Goethe zitiert (Brief vom 9.6.1920). In der hier genannten kurzen Abhandlung nimmt Lewy tatsächlich eine Ähnlichkeit von Goethes Stil zu den "Sprachen der schwertemperamentigen Völker" an und vergleicht ihn mit dem Grönländischen (S.23ff., hier S.24). Noch viele Jahre später wird sich Spitzer intensiv mit Ernst Lewys typologischen Arbeiten auseinandersetzen.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11108)