Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (338-11099)
von Leo Spitzer
an Hugo Schuchardt
04. 04. 1922
Deutsch
Schlagwörter: Bulletin de la Société de Linguistique de Paris Universität Turin Schultz-Gora, Oskar Spitzer, Emma Trombetti, Alfredo Küchler, Walther Vossler, Karl Lerch, Eugen Gamillscheg, Ernst Wartburg, Walter von Niemeyer, Hermann Terracini, Benvenuto Aronne Meillet, Antoine Farinelli, Arturo Urtel, Hermann Gilliéron, Jules Jud, Jakob Bertoni, Giulio Wien Schweiz Spitzer, Leo (1920) Spitzer, Leo (1922)
Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (338-11099). Bonn, 04. 04. 1922. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2182, abgerufen am 09. 10. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2182.
Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.
Bonn, 4. IV.
Lieber verehrter Freund,
Dank für den hier vorgefundenen Brief vom 30.III. Die Buddenbrocks bitte ich nur zu behalten, ich besitze sie selbst. Warum nehmen Sie eigentlich an, daß ich geschäftlich stets tüchtig gewesen sein müsse? Papa bezeichnete mich in dieser Beziehung stets als ein "Antitalent" und tatsächlich fehlt mir jene kalte Grausamkeit, mit der der richtige Geschäftsmann sein Opfer hereinsausen läßt, die ruhig nur der Plusmacherei dienende Einstellung auf den egoistischen Vorteil usw. usw. usw. Was ich im Gegensatz zu vielen Berufsgenossen zu besitzen glaube, ist höchstens, daß ich mich stets auf den Boden der Tatsachen stelle, schnell, ohne Zögern und innere Hemmungen. "Ein Eck des Villa-Plateaus ist eingestürzt", diese Nachricht erhielt ich um 8 Uhr früh im Bett. Um 1/4 9 Uhr stand der Entschluß zur Reise fest, um 3/4 9 ging ich schon zur Rheinuferbahn, um den Paß zu besorgen. Am Abend war ich im Konzert, nächsten Tag
[Seite fehlt im Original]
|2|interessanter Mensch er sonst ist.
Schultz Gora hat mir einen so preußischen, päpstlichen, geheimrätlichen Bonzenbrief geschrieben, daß ich nur im Tone der Empörung antworten konnte. Das habe ich denn gründlich besorgt. Ich bin zu alt, um mich von einem noch so tüchtigen Provenzalisten einschüchtern zu lassen. – Meine Frau sagt (oder sagte früher): er örrt, Börste, Körsche etc. Ich muß gestehen, daß mir die direkte Bettelei bei Trombetti lieber ist als die mit Berufung auf ein "angegänztes" Geschenk Ihrerseits: ich habe ihm übrigens den "Hunger" geschickt.
Küchler hat also Wien angenommen. Nun wird nach meiner Schätzung ein Wettlauf zwischen Vossler, der Lerch, und v. Kraus, der seinen Schwager Gamillscheg hinberufen lassen wollen wird, eintreten. Wer wird siegen?
Was sagen Sie zu v. Wartburgs schönem FEW (woran nur der Titel zu beanständen ist)? |3|Trockenheit und Lautverbohrtheit überrascht. Er ist übrigens ein ausgezeichneter Pädagoge aber zugleich ein Entseeler alles Lebendigen.
Wenn die Liste der Ztschriften von Niemeyer an Sie gelangt, so wäre ich sehr dankbar, wenn Sie nachsähen, ob Terracini (der darüber schreiben will) dabei ist und Meillet (resp. Bull.d.l.soc.de lingu.). Von letzterem will Niemeyer nichts wissen, weil er ihm die H. Paulsche Gramm. zu Tode gebügelt hat, worin ich aber fără disenţie Meillet beistimme. Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie je 1 Ex. diesen beiden widmeten, wenn sie nicht in der Liste figurieren. – Farinelli ist schon in Turin. – Ich glaube, Urtel würde sich über den Band sehr freuen. Gerade in seiner Gemütsdepression, auch Gilliéron.
Jud schreibt, in der Schweiz sei man überall mit dem Brevier sehr zufrieden! – Die Schweizer scheinen jetzt auch von dem internationalen Nationalismus, Kirchturmpolitismus, Blödismus erfaßt zu sein: Abischer, ein unbeschriebenes, allerdings katholisches Blatt – Nachfolger Bertonis in Freibg
[Rest fehlt im Original]