Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (333-11094)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Bonn

15. 02. 1922

language Deutsch

Schlagwörter: language Rumänisch Hubschmied, Johannes Ulrich Richter, Elise Zauner, Adolf Friedwagner, Matthias Spitzer, Emma Riegler, Richard Jud, Jakob Bertoni, Giulio Griera y Gaja, Antonio Farinelli, Arturo Baudouin de Courtenay, Jan Rohlfs, Gerhard Steiner, Herbert Meyer-Lübke, Wilhelm Wien Graz Wassermann, Jakob (1921) Bertoni, Giulio (Hrsg.) (1922) Spitzer, Leo (1922) Schuchardt, Hugo (1922) Vendryès, Joseph (1921)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (333-11094). Bonn, 15. 02. 1922. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2177, abgerufen am 18. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2177.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


|1|

Bonn, 15. II.

Verehrter lieber Freund,

Dank für Ihren ausführlichen Bericht. Ich finde zu oft das Wort "nichts" (Holland nichts etc.): ich glaube, Sie unterschätzen die Wirkung des Streikes, der manches verzögert oder verschlampt hat. So erwähnen Sie nicht die Feuilletons Hubschmieds, El. Richters, Zauners, Friedwagners.

Bezüglich der Blumenspende meiner Frau ist etwas Eigenartiges passiert: der Beitrag meiner Frau sollte von Wien aus an Rieglers Schwägerin nach Graz gehen, aber die Bestellkarte blieb wieder infolge des Streikes liegen u. so kam der Betrag an, nachdem die Blumengabe Juds schon abgegangen war, so daß Frau Schober den Betrag an den Wiener Aufgeber zurücksandte. Sind von Wien (Buchh. Manz) an Sie H. Mann's "Betrachtgen" und Wassermanns "Mein Weg als Deutscher u. als Jude" geliefert worden? Wenn nicht, so bitte ich Sie, bei obiger Buchhandlung 2 belletristische Bücher, die Sie interessieren (oder die erwähnten) für mein Konto zu bestellen, da die Buchhandlung offenbar meinen schon gegen Neujahr erteilten Auftrag ignoriert hat.

Nun zu Miscell.lingu.1 Ich habe, um Ihre Bedenken wohl wissend, sofort als der Gedanke bei Bertoni, offenbar von Riegler genährt, greifbare Form gewann, gegen eine Form der Festschrift protestiert, wie sie wohl im Sinn des Detailplans bei Bertoni liegt, aber Ihnen nicht entspricht – aber da schon einige Beiträge gedruckt waren (der Rieglers und der mit mir polemisierende, mit Ihnen wohl zusammenhanglose Brüchs), meinte Bertoni, er könne meine Einwände nicht mehr berücksichtigen und Sie würden sicher eine Freude haben. Darauf konnte ich nichts mehr tun u. ich sehe auch nicht, was sich machen ließe. Mein eigener Aufsatz ist ebenso wie der folkloristische Rieglers derart gehalten, daß eine Seite Ihrer etym. Tätigkeit, eben die Arbeit mit Onomatopöien, fortgeführt wird, u. ich hatte Bertoni den Titel "Beiträge z.rom.Wortforschung" |2|vorgeschlagen. Nach meinem Gedanken sollte jeder Mitarbeiter eine andere Seite der Wort­forschung in Ihrem Sinn pflegen. Wollen Sie das ev. Bertoni nochmals mitteilen, da Riegler ja machtlos ist?

Ist es nur eine meiner unbegründeten Vermutungen oder Tatsache, daß mir vorkommt, daß trotz allen lieben Worten, die Sie für das Brevier gefunden haben, dieses Sie ein bischen enttäuscht hat? Mir persönlich wäre es ja lieber gewesen, wenn Sie ohne vorherige Ankündigung das Büchlein zugeschickt bekommen hätten – ich überrasche ja so gern –; so aber haben Sie ein Jahr gewartet, bis dann ridiculus mus herauskam. Sagen Sie mir bitte rückhaltlos Ihre Meinung darüber, auch über die Einleitung.

Auch mit den Schweizern bin ich nicht ganz zufrieden. Hubschmieds Feuilleton behandelt die Brevier-Angelegenheit als eine Schweizer Nationalangelegenheit (Das "keine Gemeinsamkeiten mit deutschen Gelehrten" trat auch in den Vorverhandlungen zu Tage), ohne auch nur zu erwähnen, daß ein Bonner Universitätslehrer (sein Name tat gewiß nichts zur Sache) die eigentliche Arbeit leistete. Sind die Schweizer nun so hoffnungslos materialistisch, daß sie das Subskribieren eines Werkes, das sie ja dann erwerben, höherstellen als die geistige Arbeit der Herausgabe oder soll die Gemeinsamkeit mit einem Deutschen zurücktreten? Ich habe mein Befremden darüber Jud ausgedrückt. Doch scheint mir, daß auch Sie die Schweizer Initiative höherstellen, da Ihr gedruckter Dank nur an die Schweizer Spender ging.2

Folgen Sie der Einladung der Basken? Griera will mich nun auch, ich glaube auf Farinelli's Anregung hin, im nächsten Jahr zu Vorträgen nach Barcelona kommen lassen; ojalá !

Was ist das für eine Schrift, Langage von Vendryès?3

Ist Baudouin de Courtenay nicht gestorben?

|3|

Über papilio habe ich mich ja auch im Archiv vernehmen lassen u. nun will Rohlfs an mich in einem neueren Artikel anknüpfen. Kennen Sie übrigens den Artikel über holl. Schmetterlingsnamen von Jos. Schrijnen; merkwürderweise scheint außer dlinder nichts Onomatopoet. vorzukommen. Das rum. flútare = fluctulare, an dem Puşcariu noch immer festhält, ist nach dem tirol. Flutterl, das ich a.a.O. erwähne wohl gerichtet.

Der Schluß Ihres Briefes "von J. Jud gegründet, von L. Spitzer aufgemacht", der mir die Rolle des Regisseurs (oder "Faiseurs"?) zuerkennt, stimmt mit dem überein, was Jud selbst und nach ihm Herbert Steiner glaubt. Ich habe mich gelegentlich seines Ztschr.-Aufsatzes mit letzterem über diesen Punkt unterhalten. Ich glaube nämlich nicht, daß Jud Sie erst "entdeckt" hat. Sie haben sich selbst "ent|deckt". So richtete Steiner an mich die Pistolenfrage: Hat M-L je im Seminar oder sonst auf Sch. hingewiesen? Das "kostete mich einen Lacher". Woher denn hätte ich in meinen Anfängen von Ihnen gewußt. Die Tatsache, daß "4 Meyer-Lübke-Schüler" zu Ihrem Geburtstag das Wort ergriffen haben, zeigt doch, daß "M-Ls Schule" (bitte über das Wort nicht zu zürnen) Sie doch auch verstanden hat. Ich bin absolut unvoreingenommen gegenüber M-L, von dem ich in mehrfacher Beziehung entgeistert bin, aber die Gerechtigkeit gebietet anzuerkennen, daß M-L seit vielen Jahren Ihre Arbeiten im Hörsaal stets bewundernd zitiert hat.

Alles, was ich in meinem heutigen Briefe behandle, sind wohl Spitzfindigkeiten, vétilles, Quisquilien gegenüber der einen Tatsache, daß ich mich freue, daß Ihr Ehrentag von so vielen Seiten öffentlich zu liebevoller Beschäftigung mit Ihrer Persönlichkeit benützt wurde.

Und nun verargen Sie mir bitte nicht meine Fragen und lassen Sie bitte wieder bald von sich hören bei den

Spitzers


1 Miscellanea linguistica dedicata a Hugo Schuchardt per il suo 80 anniversario, in: Biblioteca dell''Archivum Romanicum' 3 (1922).

2 H.S., "Dank an die Schweizer Spender des Schuchardt-Breviers" (fliegendes Blatt). Graz 1922.

3 Joseph Vendryès, Le langage. Introduction linguistique à l'histoire. Paris: La Renaissance du livre 1921.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11094)