Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (331-11092)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Bonn

31. 01. 1922

language Deutsch

Schlagwörter: Hugo-Schuchardt-Brevier Spitzer, Emma Niemeyer, Hermann Jud, Jakob Spitzer, Leo (1922) Spitzer, Leo (1928)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (331-11092). Bonn, 31. 01. 1922. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2162, abgerufen am 31. 03. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2162.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Bonn, 31. I.

Liebster, verehrter Freund,

Nun ist endlich der schöne Ehrentag da, auf den – ich kann wohl sagen: wir uns so sehr gefreut haben. Wir, d.h. meine Frau und ich, und vielleicht auch: Sie und ich. Seit vergangenem Jänner lebe ich dermaßen mit Ihren Schriften und von Ihren Schriften, daß ich von tiefer Dankbarkeit für Sie erfüllt bin. Sie haben mir durch die Erlaubnis zum Brevier die Möglichkeit gegeben, mich so in Sie einzuleben, einzunisten, daß ich mich in Ihrem Gedankengebäude heimisch fühle, als wäre es mein eigenes.

Aber auch als Menschen, als Freunde sind wir uns im abgelaufenen Jahre noch näher getreten, was mich mit stolzer Dankbarkeit erfüllt.

Ich wünsche Ihnen und uns das, was auf dem Deckblatt des Breviariums steht:1 anders gesagt, daß Ihr Leben ein Longarium sei – vielleicht tun Sie uns doch die Freude an, daß wir aus Ihren weiteren Werken ein zweites und hoffentlich unserseits besser gelungenes Brevier zusammenstellen können.

Wenn ich noch einen Wunsch aussprechen darf, so wäre es der, daß Sie das quälende Alleinseinsgefühl verlieren, von dem Sie mir öfters schrieben und das vielleicht gerade die Kundgebungen zu Ihrem Geburtstag beseitigen könnten.

Nun zum Brevier: soweit ich berichtet bin, wird ein fertiges, mit Dampfdruck fertiggestelltes Exemplar von Niemeyer an Sie direkt gesandt. Für alle Fälle lege ich Titelblatt, Subskribentenliste und Inhaltsangabe bei. Daß das Buch mangelhaft und gelegentlich inkonsequent ist, weiß ich. Es sind Fragmente aus fremdem Schaffen, die vielleicht nicht richtig gerundet sind. Auch macht |2| sich die Abhängigkeit vom Verleger, die jeweilig wechselnde Valuta und damit die veränderten Möglichkeiten innerhalb des Werkchens widerlich bemerkbar: am Anfang hieß es sparen, am Ende konnte man sich "gehen lassen". So konnte auch im Zitieren anderer Autoren als Sie selbst gegen Schluß freier vorgegangen werden. Sie äußerten wiederholt Bedenken über die Finanzierung: bitte, schlagen Sie sich diese Gedanken gänzlich aus dem Kopf. Niemand von den Schweizern, auch Jud nicht, hat unerschwingliche Opfer gebracht, alle dagegen haben gern ihren Beitrag gespendet. Auch Niemeyer hat sich vornehm wie immer benommen.

Druckfehler werden Sie ja leider in Ihrem Text mit den Ihnen eigenen Argusaugen mehrere finden. Einer, der von der Druckerei in letzter Stunde hineingebracht wurde, ist trotz seiner Ärgerlichkeit ein gutes Omen: die vorschußweise Erhöhung der Zahl Ihrer Publikationen um 100!2

Wegen aller der Unvollkommenheiten und Ungleichmäßigkeiten grollen Sie mir bitte nicht. Nicht schlechter Wille, nur schlechte Nerven sind daran schuld.

Dankbar wäre ich aber, wenn Sie mir Ihre Ansicht offen schrieben. Denn nichts könnte mich mehr kränken als ein verschämter Dank, der das Wesentliche umginge. Sie wissen ja, daß ich Kritik liebe und vertrage.

Und ferner wäre ich dankbar, wenn Sie mir ausführlich und detailliert alles Liebe, das Ihnen in diesen Tagen widerfahren ist, referierten. Lassen Sie uns bitte mit Ihnen mitleben! Meine Erfahrung von Jubiläen ist ja allerdings die, daß in der Festesstimmung immer etwas nicht klappt, weil eben die Festesstimmung, die einen über den Alltag hinaushebt, einen ungeschickt für die Notwendigkeiten der Stunde macht – das bezieht sich vor allem auf die Gratulanten |3| vor allem aber deshalb, weil wir Menschen eben unvollkommen sind und die vollkommene Freude weder geben noch empfinden können – das bezieht sich auch auf die Jubilare. Ich habe immer gesehen, daß diese den oder jenen vermissen – und oft war Tücke des Objekts vorhanden, oft auch Tücke der Subjekte. Ich möchte nun wünschen, daß Ihr Ehrentag rein und fleckenlos verläuft, resp. daß Sie ihn so empfinden.

Meine Frau hat sich erlaubt, sich an dem Schweizer Blumengruß zu beteiligen und einen Wiener Büchergruß zu senden (letzteren bei Manz umtauschbar) – sie hätte noch einen Tortengruß hinzugefügt a) wenn Sie in Pörtschach noch wäre, b) wenn Sie Ihren Geschmack kennte und wüßte, ob Sie zur Kategorie der Herben oder der Süßen der Gourmands oder der Gourmets gehören...

Und nun lassen Sie sich alles Schöne und Herrliche wünschen von Ihrem dankbar ergebenen

Spitzer


1 Das dort abgedruckte Motto lautet: "¡Vivas, gran señor, mil siglos!".

2 Die Durchnummerierung der Schuchardtschen Arbeiten springt von 621 zu 722, ein Fehler, den Spitzer noch mehrmals erwähnt und der in der zweiten Auflage (1928) beseitigt wird.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11092)