Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (306-11066)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Bonn

05. 09. 1921

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Würzburg Universität Bonn Meyer-Lübke, Wilhelm Meyer-Lübke, Hermine Lessiak, Primus Spitzer, Emma Vossler, Karl Richter, Elise Wien Bonn

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (306-11066). Bonn, 05. 09. 1921. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2137, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2137.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Bonn, 5. IX.

Verehrter lieber Freund,

ich weiß nicht, ob Rositta so falsch ist. In der Zensur hatte ich eine Polesanerin mit Namen Annita (Spaniolismus!). Die perbacco und bravissimo finden sich schon bei Karl Federn "zum Auswachsen". Über das Problem, das Sie andeuten, habe ich im vorigen Jahr einen Artikel geschrieben, den ich nirgends unterbringen werde können, weil er an Alfred Kerr anknüpft. Auf Wunsch sende ich ihn Ihnen.

Von einer Zugskreuzung mit M-L ist keine Rede, da es sich nur um einen unsanften Fühler seinerseits (oder seiner Frau seits) handelte, der offenbar zurückgewiesen wurde. Meine Gefühle – mein Gott, ich habe so viel Sonderbares mit M-L erlebt. So groß der Gelehrte und Lehrer, so schwammig-widerspruchsvoll ist der Charakter des Menschen. Seine Frau hat ihn von Wien weggetrieben, offenbar um Bonn als Trampolin für Berlin zu benützen. Nun treibt sie wieder zurück, nachdem den Sprung dahin andere vollführt haben. Frau M-L ist das größte Unglück für den an sich gutherzigen und lieben Menschen, der ihr willenlos ergeben ist. Sie hat ihm eine sieghafte Stellung in Wien mit einer Stiefstellung in Bonn vertauschen geheißen. – Wie wenig doch das Kulturelle bei allen diesen Inhabern der Stühle Petri mitspricht! Es wird immer von der Kulturmission gesprochen, aber im Ernstfall der besser bezahlte Posten in Würzburg oder Bonn vorgezogen. So sehe ich jetzt den vornehmen feinen Gelehrten Lessiak zögern, ob er den Ruf nach Wien an|2|nehmen soll. Wir Wilden, wir Juden, sind doch bessere "Menschen" – ich spreche auch von mir, nicht etwa weil ich besser daran wäre als andere, sondern gerade deshalb weil ich als "einstiger Reicher" schlechter dran bin als die Fixbesoldeten.

Wir bleiben jedenfalls bis 24. hier, vielleicht meine Frau noch länger.

Dank für den Nachweis. Die Mauthner Rez. hat in Deutschland wenig gefallen – die Parteinahme für einen Autodidakten, der die Lehrstühle etwas wanken macht?! M-L hat mir das Wortspiel "weder kennt noch nennt" (das ich bei Ihnen später wiederfand) verübelt. Ja ja! – Was ist das für ein Opus contra Vossler?

Montoliu ist eine gedanklich sehr schwache Potenz! – El. Richter hat Barbusse gesehen, der sehr eitel sein soll. – Warum Schwamm über den Schwamm?

Herzliche Grüße

Sp.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11066)