Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (294-11054)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Bonn

28. 06. 1921

language Deutsch

Schlagwörter: Hugo-Schuchardt-Brevier Magyar Nyelvörlanguage Katalanischlanguage Spanischlanguage Italienisch Luick, Karl Ettmayer, Karl von Richter, Elise Hilka, Alfons Meyer-Lübke, Wilhelm Gelzer, Heinrich Jordan, Wilhelm Spitzer, Emma Wien Göttingen Graz Bonn Schuchardt, Hugo (1921) Schuchardt, Hugo (1921) Spitzer, Leo (1910)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (294-11054). Bonn, 28. 06. 1921. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2125, abgerufen am 18. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2125.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Bonn, 28. VI.

Lieber verehrter Freund,

Dank für Ihren lieben Brief über die "akademischen Nöte". Ich hatte eigentlich Anderes erwartet unter diesem Titel, geistige Nöte der Kollegen, nicht psychophysis auf Ihrer Seite. Ich stimme Ihnen vollständig bei, daß der Umweg über den Lehrer zum Forscher, zu dem uns die Regierungen zwingen, ein falscher ist, wie ich in meinem Umsturz-Artikel in der Wage andeutete. Man baue die Akademien zu Forscherheimen aus und erspare den Gelehrten das Krähen vor Auditorien. Ich allerdings bin ein begeisterter Sprecher, spreche besser, je mehr Leute da sind und habe die Angstzustände im Anfang – ich war totenbleich vor der ersten Vorlesung vor den Hörern, nicht vor der Probevorlesung – schnell überwunden. Heute ist mir die Stundenglocke jedesmal eine lästige Störenfriedin. Ob auch den Hörern möcht ich allerdings bezweifeln.

Bei Ihrer Neurasthenie ist mir nur Ihre Akribie, die Sorgfalt Ihres Korrigierens, die Korrektheit Ihrer Zit. und Ihrer Formen unverständlich. Ich bin ja nun auch sehr nervös (vielleicht nicht neurasthenisch) und mein ganzes Wesen steht unter dem Zeichen der Hast. Daß Ihre Parerga ein Ergon (oeuvre) darstellen, ist mir gelegentlich des Breviers so recht klar geworden. Der innere Zusammenhang des Kleinsten mit allem Übrigen ist unleugbar. Aber die boshaften Nebenmenschen haben Ihnen das ebensowenig geglaubt wie – ich muß immer mich als kleinen Etalon zitieren – mir.

Devitalization – weil es ein englisches Zitat ist. Sie schreiben in der nächsten Zeile malheuren – warum nicht malörö?

Ich hörte s.z. daß Sie einen Antrag Luicks betr. Ettmayer's Kandidatur zur Akad. sich nicht zu eigen gemacht hätten – und finde das vollkommen in Ordnung. Wissenschaftlich hat Ettm. nur Konfuses (außer den Anfangssachen) geschrieben, menschlich hat er sich gegen seinen Lehrer (= Sie) skandalös be-|2|nommen, als Lehrer ist er langweilig und unvorbereitet. Also wozu Ehrungen?

Für mich ist – wie in Wien für El. Richter – trotz Barbusse und Fremdwörtern der Titel des Extraordinarius von der Fakultät beantragt. Das ist nicht, was ich anstrebe. Funktion, nicht Ehrung! Wirkungsmöglichkeit, nicht Mumifizierung durch Titel.

Also Thema Hilka (ich bin stets gegen Sie wie gegen andere aufrichtig): Hilka hat mir 3mal geschrieben, ich würde sein Nachfolger, ich solle M-L mobilisieren, da auch Gelzer und Jordan Anstrengungen machen würden (von Lommatzsch und Wagner war keine Rede, bei letzterem gewiß mit Unrecht). Der Greifswalder Germanist hat aber an den hiesigen berichtet, daß Hilkas Votum "für die Liste entscheidend war". Gleichzeitig schrieb Hilka an M-L und mich, in der Fakultät hätten sich Widerstände erhoben, aber M-L möge ans Ministerium schreiben, sodaß wir annehmen mußten, ich stünde doch auf der Liste. In Wirklichkeit soll die Berufungsliste in Gr. eine "Farce" gewesen sein, wie ich von anderer Seite weiß, da Lommatzsch von vornherein ausersehen war. Wozu also in mir Hoffnungen erwecken von denen er wissen mußte, daß sie auf mich als Enttäuschten eine zernichtende Wirkung üben mußten? Offenbar weil damals seine eigene Sache mit Göttingen schwebte, in der M-L sehr zu seinen Gunsten eingegriffen hat.

Gewiß, ich habe die M-L-Festschrift mit ihm zusammen gemacht – gern hätte ich auch eine Schuchardt-Festschrift inszeniert, wenn nicht Ihr Veto in den entscheidenden Tagen eingetroffen wäre. Auch eine Ihnen genehmere Form wird nun nicht zustande kommen, nachdem das Zusammenarbeiten Hilka–Spitzer so unsanft gestört wurde.

Ich habe H. wohlgemerkt nichts geschrieben als einzig meine sämtlichen Aufsätze (außer den laufenden) zurückgezogen.

Merkwürdig: dieselbe Rhythmusbeobachtung wie Sie haben auch wir in einem nachbarlichen Hahnenhof gemacht, wir haben aber nicht weitergeforscht.

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Dank für die etym. Miszellen.1 Zu bafa vgl. Kat. bavor, babor, vaho Diccionari Aquiló (= baf- + vapor) und sp. vaho.

Zu den Schorf-Wörtern vgl. noch sp. zurapa, über das Sie, ich glaube, im Museum gehandelt haben.2

Zu polaina:3 vgl. zur Endung san simplayna in meiner "Wortbildungslehre"3: po-la.... (ohne Aussprechen des Fluchs) wie kat. patern [oster], it. coevia = 'co|glione etc.'

Zu farfar vgl. Spitzer Archiv über papilio, dem die Stelle im Berber. offenbar nicht mehr bewußt war.

Nach Graz kommen, Sie zu besuchen, möchte ich schon gern. Aber man spricht in solchen flüchtigen Stunden so Zufälliges, während man schriftlich sich eigentlich besser ausspricht. Vor allem möchte ich allerdings, daß Sie meine Frau kennen lernen. Nun möchte ich sehr gern im August oder Sept. meine Frau nach Gr. fahren lassen, um einen guten Frauenarzt zu besuchen – die hiesigen haben wir abgeklappert – gibt es einen solchen und könnten Sie einen in Kollegen­kreisen bekannten auch-Menschen mir empfehlen? Dann würde ich meine Frau Ihnen auf ein Viertelstündchen schicken.

Das Brevier ist 26 Bogen stark, nur 18 dürfen es sein. So muß ich denn zu meinem Leidwesen Schuchardts Lebensbildnis beschneiden – ein scheußlicher Beruf!

Zur Entschädigung für die Bestrafung Ihrer philosemitischen Neigungen sende ich Ihnen die Januarnummer von Magyar Nyelv, die ich doppelt habe. Ich verfolge nämlich auch die christliche Magyarologie, die im Blick für das Systematische der jüdischen gelegentlich über ist. Hier in Bonn wird ein Witzwort zitiert, das ein alter Physiker beim Antrittsbesuch der katholischen Philosophie geprägt haben soll: "Ich muß immer lachen, wenn ich einen Philosophen sehe, aber erst recht, wenn einen katholischen Philosophen". Das ists – die Menschen zerstücken das naturhaft Verbundene: Deutschland, die Wissenschaft, den Menschen...

Ergebenste und beste Grüße von Ihrem getreuen

Spitzer


1 H.S., "Röm. bafa = ital. afa 'Schwüle' [etc.]", in: Zeitschrift für romanische Philologie 41(1921): 347-351.

2 In der Zeitschrift Museum veröffentlich Schuchardt keinen entsprechungen Artikel.

3 Span. ¡polaina! ist Teil der og. Miszellen.

3 L.S., Die Wortbildung als stilistisches Mittel, exemplifiziert an Rabelais. (29. Beiheft der Zeitschrift für romanische Philologie.) Halle a.S.: Niemeyer 1910.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11054)