Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (288-11048)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Bonn

23. 04. 1921

language Deutsch

Schlagwörter: language Arabischlanguage Romanische Sprachenlanguage Französisch Hilka, Alfons Meyer-Lübke, Wilhelm Pillet, Alfred Ettmayer, Karl von Spitzer, Emma Jud, Jakob Menéndez Pidal, Ramón Riegler, Richard Paris, Gaston Vossler, Karl Wassermann, Jakob (1921)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (288-11048). Bonn, 23. 04. 1921. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2119, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2119.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Bonn, 23.IV.

Verehrter lieber Freund,

Dank für Ihren lieben Brief. Die Briefe, die ich bekomme, und unter diesen die Ihrigen besonders, sind ja das Einzige, was mich aufrichtet. Ich gleiche darin einer alten Jungfer, daß ich, weil ich nirgends ankomme, zur Entschuldigung vor mir selber in meinen Briefschaften krame, um mir nachzuweisen, daß es mir nicht an Sympathiebeweisen mangelt.

Hilka hat M-L geschrieben, die Widerstände erhüben sich gegen "meine Art" und weil man glaube, ich passe eher an eine große Universität. Das letztere Argument ist köstlich: man verschließt einem den einzigen Weg zur großen Universität, indem man einen überhaupt nicht weiterkommen läßt. Das erste ist verständlich und doch nicht so ganz: Sie pflegen in solchen Fällen zu schreiben, es liege nicht "an mir". Oh wüßten Sie, wie einem das wehtut! Sagt man mir, ich habe Fehler, und weist man mir sie nach, so fühle ich in mir den Drang sie zu verbessern, um den höheren Ansprüchen gerecht zu werden – ich kann noch wachsen; sagt man mir aber, was immer du auch tun magst, du kannst nichts ändern, so kommt es mir vor, als ob ich unter die Eisdecke eines Sees geraten wäre und stets niedergetaucht würde von diesem harten Etwas, das nicht nachgibt. Oh könnten Sie die Leiden des deutschen Juden verstehen (sie sind bei Wassermann herrlich geschildert)! Warum findet sich nirgends der Gelehrte, der mit ruhiger Weisheit all das Unrecht zerstreut, das so vielen in unserem Philologenberuf getan wurde (R.M. Meyer, Jellinek, Levy)! Gewiß ist die wissenschaftliche Arbeit in sich der höchste Lohn, aber die Anerkennung, die jedesmal wenn es darauf ankommt kargt – das ist so bitter! |2|Was ist mein Fehler: ich bin anders, gelegentlich leichtfertig wenn Sie wollen, gelegentlich unausgeglichen – dafür haben andere andere Fehler. Was hat Herr Pillet oder Herr Ettmayer schon geleistet?

Schrecklich sind solche Tage stets für meine arme Frau, die als Christin und Deutsche sehen muß, wie man mich quält. Sie wirft mir öfters den Mangel an stolzem Sich hinwegsetzen vor – wie kann ich das erringen, wo ich immer wieder darauf gestoßen werde: Du darfst nicht zu uns gehören!

Mit halagar etc. haben Sie gewiß recht: aber das Wesentliche war mir die Heraushebung des Begriffes 'glatt' im Arab. wie im Roman. Ihr *amulaceus hat vor Jud *ambilattium voraus daß es an Näheres und Bekannteres verknüpft u. daß, wie M-L mir mitteilt, -ium nicht so im Gallischen verwendet wird. Sie haben ganz recht, der Bastardartikel ("equizön") ist echterer Spitzer.

Wollen Sie, daß ich Ihnen das betr. Heft des RFE, wo Menendez Pidal die urspr. Bdg. (ich glaube 'Wurstart') bespricht, zusende? Übrigens besitzt, wie ich glaube, Riegler ein von mir geschenktes Sep. dieses Artikels. – Waren Sie so gütig, Riegler die Reindrucke zu senden? – Hilka wohl schon in Göttingen.

Ja richtig: eine Bettelei muß ich doch noch vorbringen: die um das (spaniolisierte) Bild in irgend einer Form für das Brevier, da ich Ihre aus älterer Zeit stammende Photographie, die auf unserem Klavier neben G.Paris und Vossler steht, nicht zugrunde legen möchte.

Beim Durchstudieren Ihrer Schriften bin ich auf einen Punkt gestoßen, der mir leid tut: die Kontroverse wegen der Femdwörter. Sie tut mir leid, nicht wegen des Sachlichen (Baesecke in seiner Dtsch. Philologie steht ja auf einem ähnlichen Standpunkt; als Polemiker gegen den Sprachverein hatte ich das Recht, einseitig zu sein), sondern wegen des Formellen: aber seien Sie überzeugt, daß ich Ihnen nicht wehtun wollte. Das war damals die Zeit eines unglaublichen Druckes in uns allen, der sich oft an der unrechten Stelle Luft machte. Sind Sie nicht aber auch in der Abweisung meiner Argumente zu scharf gewesen?

Nehmen Sie die allerherzlichsten Grüße von Ihrem ergebenen
Spitzer

Sie sind mit meiner Auffassung der Onomatopoesis einverstanden? – Ich erkläre nächstens frz. tâter etc. onomatopoetisch (urspr. "frapper", vgl. tustar).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11048)