Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (273-11033)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Bonn

30. 11. 1920

language Deutsch

Schlagwörter: language Italienisch Farinelli, Arturo Lerch, Eugen Tallgren, O. Johannes Sperber, Hans Crescini, Vincenzo Gilliéron, Jules Spitzer, Leo (1920) Spitzer, Leo (1920) Spitzer, Leo (1921)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (273-11033). Bonn, 30. 11. 1920. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2103, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2103.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Bonn, 30. XI.

Verehrter Herr Hofrat!

So geht's einem! Bringt man aufs Neue etwas auf den Büchermarkt, überall grämliche Mienen – Neid der Altersgenossen, Mißbehagen der Bequemen – und Druckfehlerberichtigung der einem Überlegenen. Mein "Hunger" hungert aber nach Diskussion, Bekämpfung (wissenschaftlich, menschlich, politisch). Nun bin ich auf die Holländer und Skandinaven nicht nur valuta-eifersüchtig...

Farinelli schreibt von einer "malinconica raccolta", Vossler von "reizenden Blumen" der Kgf.-Briefe, des einen Leid ist der andern Freude. Wie traurig in der Welt ist es doch eingerichtet.

Herr Lerch findet (Arch.) in meiner syntakt. Auffassung Widerstreit von gleichmacherischem Aufkläricht und Beobachtungsgabe fürs Tatsächliche. Er hat Recht. Aber dieser Widerstreit liegt in der Natur der Sprachwissenschaft, die überall Gleiches, andererseits überall Verschiedenes sagt. Lerch leugnet ersteres.

Wenn man die Wirkung verfolgt, die man auf Zeit- u. Fachgenossen ausübt, so sieht man in einen Vexierspiegel. Vor allem sind die widersprechenden Urteile der Kritiker interessant: meinem Aufsatz über den erzählenden Imperativ (ein Ihnen nachgeratenes Kind) findet Tallgren hoch bedeutend, Lerch überflüssig. Sie werfen mir vor, daß ich Psychoanalyse in meinem Barbusse nicht offen trübe – Sperber, daß ich dies Wort überhaupt verwende.

Traurig steht's um den |2|Verkauf meiner "Kgf. Briefe". Wer liest in Deutschland Italienisch und über Ital. ?

Wer sind übrigens die Italiener, mit denen Sie brieflich sich aussprechen? Ich kenne nur Farinelli u. Crescini. Wer wäre allenfalls zum wissenschaftl. Korrespondenten geeignet? – Ich tue jetzt nichts, wie Sie es wünschen. Immerhin ist einiges unterwegs – o Graus!

Ergebenste Grüße

Spitzer

Ich prüfe jetzt mit: scandalino scandalone, was man da zu hören bekommt!

Gilliéron gegenüber verteidige ich das Deutschtum – ich bin nämlich besser als mein Ruf.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11033)