Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (264-11024)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Pörtschach

02. 09. 1920

language Deutsch

Schlagwörter: Carl Georgi, Universitäts-Buchdruckerei und Verlag (Bonn) Don Quijotelanguage Katalanischlanguage Spanisch Cohen, Marcel Menéndez Pidal, Ramón Schürr, Friedrich Farinelli, Arturo Vossler, Karl Spitzer, Emma Curtius, Ernst Robert Kammerer, Paul Riegler, Richard Richter, Elise Maver, Giovanni (Hans) Rom Bonn Farinelli, Arturo (1916) Spitzer, Leo (1920) Schuchardt, Hugo (1920)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (264-11024). Pörtschach, 02. 09. 1920. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2094, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2094.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Pörtschach, 2. IX.

Lieber verehrter Herr Hofrat,

Dank für Ihren schönen inhaltsreichen Brief, den ich meinem Schuchardt-Archiv einverleibe (einer großen Ziehharmonika): einst nach vielen Jahren, wenn ich einem Meister mehr gleiche als heute, schreibe ich ja doch ein Buch u.zw. ein schönes, betitelt: "Hugo Schuchardt. Das Leben eines Linguisten". Da werde ich dann in meinem Archiv blättern....

Druckfehler werden Sie in dem Buch über Barb. genug finden: bedenken Sie, daß die Georgi'sche Univ.-Buchdruckerei mit ganz ungeübten Setzern arbeitet, sodaß trotz 3maliger Korrektur nicht alles auszustreichen geht, was die Kerle hineingepatzt haben. |2|Der modische Umschlag stammt von Herrn Cohen – das sieht man von weitem. Ich bin neugierig, was Sie zu Aufsatz 3 sagen: Sperbergerausche u. -geräusche?

Ja, das ist es eben: wir sind kriegerisch erzogen in einer unkriegerischen Zeit, bei Ilias, Odyssee etc., nicht bei Hermann u. Dorothea, Luise etc. Und da müssen die Pazifisten tatsächlich Ordnung machen. Als ich Geschichte lernte, war sie ein Sammelsurium von Jahreszahlen deutscher Herrscher, Schlachten, Friedensschlüssen – die großen Kulturbewegungen des alten Rom, Griechenland, Deutschland wurden nicht berührt. Das muß anders werden!

Daß Sie sich bei Barbusse nicht besonders beglückt und belehrt fühlen, verstehe ich, weil Sie persönlich, Herr Hofrat, der Belehrung nicht bedurften: |3|aber all jene […] Bonzen in Deutschland, die den […] Geist […] einer "Beamtenschaft atmeten". Da lese ich z.B. in der Revista Pidal's, daß Herr v. Below, der mir auch anderweitig aus Dr. Schürr's Erzählungen bekannte Freiburger Historiker, noch im Frieden den Don Quijote mit einem "Indianerhäuptling" verglichen hat. Ja, daran fehlt es nun: wir müssen statt einer dynastischen Geschichte mehr Geographie lernen, physische u. psychische. Daran fehlt es uns, daher auch an der Toleranz, die im Gefolge des Wissens geht.

Die Bolschewistensprache, weil Sprache, ist auch interessant!

Von Farinelli habe ich die höchste Meinung, nachdem ich sein 2bändiges Werk "La vita è sogno"1 (in dessen Anmerkungen Sie häufig als "caro amico e |4|maestro" vorkommen – im Kriege!) durchpflügt habe. Ein hoher, erlauchter Geist – und, nach seiner Einleitung zu schließen, ein Pazifist! Ich will ihm meinen Barbusse schicken.2 Bisher habe ich allerdings nur 5 Ex., deren eines Sie erhielten, eines Vossler, eines meine Frau, eines Curtius.

Denken Sie nun, daß kat. sanars richtig von mir erklärt ist oder nicht? Der Agrimensor müßte nur eine Gegenerklärung geben.

Jawohl, krankhafte Lust am Zerstören bei Kammerer!

Ihre Zitiermethode ist oft schwierig: wo ist das "Bemperlein u. Gemperlein" Meyer's erschienen? Ich möchte es wissen, weil ich doch meine Frau Empelein, Empeli, Emperl (zum Unterschied von den zahlreichen Emmy's) nenne.

Escueznar ist wohl sicher so zu deuten wie Sie vorschlagen. Das müssen aber Sie vortragen. Für autillo lehnt REW otus ab, was natürlich nichts beweist.

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Dürfte ich Sie um Angabe der Zeitschrift-Stelle bitten, wo Sie über kat. 'Zitze' = mucro handeln? Da ich gern andere zitiere und Sie besonders gern, so brauche ich das für eine Korrektur. Außerdem hat REW diese gewiß richtige Etymologie nicht aufgenommen.

Haben Sie in Ihrem visp-etc.-Aufsatz sp. enguizgar erwähnt?3 Es gehört gewiß in diesen Zusammenhang. Ich habe die Korrektur dem alles von Ihnen Stammende heißhungrig verschlingenden Riegler geliehen.

Warum ich die Renumeration brauche? Weil man in Bonn zumindestens 24.000 M = 100.000 K verzehrt und ich extra Pörtschach und meine Ziehmutter erhalten muß, daher vom Kapital zehre. Nun geht das ja noch eine Weile, weil ich noch immer in einem geheimen Winkel meines Wesens "hoffe", aber 10 Jahre kann ich so brodlose Tätigkeit nicht aushalten u. ich muß meine österreichischen Penaten aufsuchen, der Universität Valet sagen.

Am 7. kommt El. Richter durch, am 10. Maver aus Italien. Leider hat sich meine Frau den Fuß verstaucht und wird wohl die ganze restliche Zeit unseres hiesigen Aufenthalts liegen müssen. Wir kommen aus dem Pech nicht heraus.

Ergebenste Grüße
Spitzer


1 Arturo Farinelli, La vita è un sogno. Turin: Fratelli 1916.

2 L.S., Studien zu Henri Barbusse. Bonn: Cohen 1920.

3 H.S., "Busette; bourgin; m-; sonika; ital. visto, visco, vispo", in: Zeitschrift für romanische Philologie 40 (1920): 602-611.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11024)