Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (262-11022)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Pörtschach

15. 08. 1920

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Turin Spitzer, Emma Solf, Wilhelm Farinelli, Arturo Maver, Giovanni (Hans) Vossler, Karl Kammerer, Paul Farinelli, Arturo (1916)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (262-11022). Pörtschach, 15. 08. 1920. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2092, abgerufen am 08. 06. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2092.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Pörtschach, 15. VIII.

Verehrter lieber Herr Hofrat,

besten Dank für Ihren Brief, für den ich mich erst revanchieren kann, bis ich wirklich was zu schreiben habe. Jetzt stagniere ich, weil meine Frau noch immer in trübsinniger Schwermut verweilt und ich alles Mögliche tun muß, um sie zu erheitern.

Ihren Ausführungen über die Italiener stimme ich vollkommen bei. Nur – daß Ludendorff, Tirpitz, Major Solf (siehe Tagespost) "träumerische Kinder" (gewesen) sein sollen, glaub ich ebensowenig wie bei Foch etc. – Was ist "Raub" ? Ist [gelöscht] das dänische Schleswig nicht auch Raub gewesen? – Das Schlagwort von den westl. Demokratien habe ich auch längst verabscheuen gelernt. – Warum orientieren wir uns nicht nach unseren großen Deutschen, z.B. den Herren Goethe, Schiller, Lessing – auch im tätigen Leben, in der Politik, im Universitätsleben. Mehr habe ich nie verlangt, ich, der s.g. Anationale.

Die Rev. vasca habe ich zurückgeschickt, obwohl ich gern Ihren Artikel über Menéndez Pidal besäße. Nun hoffe ich auf die 2. Sendung.  – Über aupa – ahucar etc. habe ich einen articoletto verfaßt.

Das Schlußwort im REW war wohl sehr geschickt: es spricht zum Ausland und es tönt aus ihm die Wehmut des Alterns.

Wo lehrt Farinelli? Ich glaube, in Turin. Stimmt das? Freund Maver schätzt ihn ebenfalls hoch als Menschen. Ich lese |2|gerade sein herrliches Werk "La vita è un sogno", für mein Calderon-Kolleg. Merkwürdig, von wie vielen Seiten die Bedeutung des Religiösen auf mich einstürmt: von Mieses, Vossler und vom span. Drama aus. Vielleicht war ich früher unter Kammerers Einfluß zu rationalistisch; ich muß von nun an mehr die Bedeutung des Irrationalen hervortreten lassen.

Ergebenste Grüße

Spitzer

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11022)