Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (249-11008)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Pörtschach

09. 06. 1920

language Deutsch

Schlagwörter: Universität Marburg Vossler, Karl Lerch, Eugen Wechssler, Eduard Lewy, Ernst Riegler, Richard Lewy, Ernst (1913) Riegler, Richard (1907) Riegler, Richard (1909) Ettmayer, Karl (1919) Vossler, Karl (1920)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (249-11008). Pörtschach, 09. 06. 1920. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2079, abgerufen am 04. 10. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2079.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


|1|

Pörtschach, 9. VI.

Verehrter Herr Hofrat,

Es freut mich, daß Sie mit meinem Artikel zufrieden sind. Mein Ehrgeiz war, den Vosslerleuten zu zeigen, daß man ihren Kulturschwatz über das Hypothetische hinaus führen kann. Aber die Vosslerleute zeigen eben alle unangenehmen Eigenschaften einer "Schule", die Sie ja stets bekämpft haben: die Inzucht des Einanderlobens und Nur-Einanderlobens. Doch darüber habe ich mich schon öfters ausgesprochen.

Nun einige Beiträge zur Rezensionstechnik Lerchs: es erscheint eine Rez. über Woltersdorff, gleichzeitig in Berl.Phil.Woch. eine Woltersdorffs über Lerch (der Hinweis auf Wechssler zu Anfang der Lerch-Kritik fällt in die Zeit, da Marburg frei wurde!), es erscheint eine Rez. Lerchs über Snyders de Vogel u. gleichzeitig eine solche von Snyders de Vogel über Lerch. Alles purer Zufall! – Sehr gern würde ich in die Goethephilologie mich wagen, aber da würden doch – die Goethephilologen über mich herfallen.

Die Spezialisten dulden keinen Hecht im Karpfenteich. Polyhistorische Historiker haben stets die Spezialisten gegen sich: in jedem Spezialgebiet gelten gewisse "Spezialpapiere" als Bibel; wehe, wenn man sie bezweifelt!

Ein Buch von einem Lewy (Berlin 1913)1 hat übrigens Goethes Altersstil im Sinn von "Motiv u. Wort" behandelt. – Warum ich auch Etymologien mache? |2|Weil ich gern diskutiere! Bei stilistischen Aufsätzen bleibt man vollkommen unwidersprochen, höchstens vornehm summarisch abgeurteilt. Die etymologische Forschung ist dagegen ein Tummelplatz erlesener Geister. Ihre Arbeit über meinen Morgenstern ist eine löbliche Ausnahme von der Regel des ungläubigen favete linguis den Stilistica gegenüber. – Riegler erinnert gelegentlich der Wachtel an palpaguà aus Cadore: 'greif her!' (die fette Wachtel weist ihre Schönheiten fleischlicher Art dem Beschauer).2 – Wann erscheint Ihr Objekt?

Köstlich die Vermöblung des " Vademekums" durch Vossler.3 Das ist mir einmal aus der Seele geschrieben. Zuckerbrot und Peitschenhieb, aber mehr dies als jenes!

Ergebenste Grüße
Sp.


1 Ernst Lewy, Zur Sprache des alten Goethe. Ein Versuch über die Sprache des einzelnen. Berlin: P. Cassirer 1913.

2 Vgl. Richard Riegler Das Tier im Spiegel der Sprache. Dresden 1907; Zur Tiernamenkunde. Pola 1909.

3 Im Literaturblatt XLI.5-6 (1920): 183.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 11008)