Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (246-11005)
von Leo Spitzer
an Hugo Schuchardt
26. 05. 1920
Deutsch
Schlagwörter: Romanistik Germanistik Spanisch Urtel, Hermann Gilliéron, Jules Bally, Charles Saussure, Ferdinand de Brunot, Ferdinand Meyer-Lübke, Wilhelm Vossler, Karl
Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (246-11005). Pörtschach, 26. 05. 1920. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2076, abgerufen am 29. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2076.
Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.
Pörtschach, 26. V.
Verehrter Herr Hofrat,
Das auf Urtel bezügliche Wort dürfte nichts Wesentliches im Satze sein. – Ich freue mich, daß Sie Mauthner schätzen: Meine Mauthner-Rez. hat mir nämlich viel böse Feindschaft in der deutschnationalen Gelehrtenwelt eingetragen, derselben, die, wenn es um einen der "ihrigen" geht, so gern Jubiläen feiert, während sie den 70jähr. Geburtstag M.'s klanglos vorbeigehen ließ. Also mit Mauthner dürfen die Deutschen ebensowenig prunken als etwa die Juden mit Spinoza. – Sind Gilliéron, Bally, Saussure Materialwälzer oder geistige Arbeiter? Sonst hätte ich etwa Brunot erwähnen können.
Sie haben Recht, auf das größere Interesse der Dtsch. für Romanistik als der Frz. für Germ. hinzuweisen. Das ist aber eben das Erbe der Goethe'schen "Weltkultur", "Weltliteratur" etc. Auch ich betrachte die Deutschen keineswegs als "inferior", aber die alldeutschen Kreise, die früher in der Politik regierten und jetzt noch an den Univ. herrschen, ziehen sie eben ab von der erhabenen Humanität unserer Klassiker. – Ich betreibe, wie Sie wissen, Literatur nur auf dem Umweg über meine Frau: Sie liest nun gerade Heines Prosaschriften wieder einmal – dieselben Anklagen wie dieser geniale Journalist möchte auch ich heute erheben. "Neu" ist das natürlich nicht. – Wie unterscheiden sich ernstgemeinte von scherzhaft gemeinten |2|Etymologien? Dadurch, daß bei diesem der Ernstnehmer hereinfällt? Aber wie hütet sich der Leser? Ein solcher "Gelackter" ist also M-L gewesen, der die Etym. aufnahm (Register)? Ähnlich schrieb mir Vossler auf meine Rez. über "Form u. Bedtg." hin, er habe das ganze nur in einem Anfall journalistischer Laune geschrieben! Wenn ich das sagte? Quod licet....
Sp. mostrenco 'herrenloses Vieh' etc. gehört zu monstrum urspr. 'mißgestaltet', vgl. mostrico bei Pereda in der eig. Bdg. – Irgendwo äußern Sie etwas über sp. rebaño 'Herde'. Was? Ist es nicht *repaniare, rebañar 'zusammenraffen', rebañadura 'Überbleibsel' (cf. rebanada 'Brotschnitte' repanata)?
Ergebenste Grüße
Spitzer