Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (210-10969)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Wien

23. 08. 1919

language Deutsch

Schlagwörter: Literaturblatt für germanische und romanische Philologie Haas, Wilhelm Tobler, Adolf Lerch, Eugen Schuchardt, Hugo (1919)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (210-10969). Wien, 23. 08. 1919. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.2040, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.2040.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Wien, 23. VIII. 1919

Verehrter Herr Hofrat,

Dank für Ihre Gratulation, ebenfalls im Namen der Incognita. Wir haben jetzt herrliche wissenschaftslose Tage verlebt. – Als Mahnung an die böse Welt (mich selbst als "Bösen" eingeschlossen) drang nur das Ltbl. zu mir.

In Ihrer Erwiderung – die ich vom Bösen ausnehme – haben Sie meine "Anti-Druckfehlerhatz" wohl verübelt und zweifellos bedaure ich diesen schlechten Scherz von Herzen. Es war aber jedenfalls nur scherzhaft gemeint.

Die Rezension Lerchs kann man, einen Ihrer Sätze variierend, resümieren: "Haas ist nichts; Spitzer ist nichts; Tobler ist etwas, denn ich habe bei ihm gehört; nun aber komme Ich, Lerch." Das ist so der neuberlinische Ton. – In letzter Zeit hätten sich mir in Dschld. einige Aussichten geboten. Aber nach dieser Rezension haben wohl meine zahlreichen Feinde gewonnenes Spiel. Am liebsten wäre mir, die ganze Karriere an den Nagel zu hängen und meinen Kohl (wissenschaftlichen und leibhaftigen) in Pörtschach zu pflanzen – aber in keiner Zeit kann man derlei weniger als jetzt, wo die Vermögen zusammenschmelzen und man nicht weiß, ob man noch in nächster Zeit zu leben hat. – Jedenfalls werde ich hinfür etwas friedfertiger werden: man |2|ändert die anderen Menschen nicht und steckt selbst nur blöde Anrempelungen von unerwarteter Seite wie z.B. jetzt Lerch ein. Die Menschheit, besonders die professorale, will Frieden, nicht Kampf – und sie kann keinen Hecht im Karpfenteich brauchen. Dies der Grund meines Nicht-Reüssierens in der wissenschaftlichen Welt: denn natürlich freut man sich, in meiner "Streitsucht" einen neuen Beleg für Rassentheorien zu finden.

Ich habe genug herumgeboxt. Ich wende mich jetzt mit aller Herzenswärme, derer ich fähig bin, meinem Hauswesen und Haus-Wesen zu.

Ergebenste Grüße

Spitzer

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10969)