Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (194-10953)
von Leo Spitzer
an Hugo Schuchardt
22. 04. 1919
Deutsch
Schlagwörter: Ungarisch Latein Kammerer, Paul Sperber, Hans Meyer-Lübke, Wilhelm Simonyi, Zsigmond Wien Göttingen Schuchardt, Hugo (1919) Spitzer, Leo (1919)
Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (194-10953). Bonn, 22. 04. 1919. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1995, abgerufen am 09. 12. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1995.
Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.
Bonn, 22. IV.
Verehrter lieber Freund,
In Erwartung eines Schreibens von Ihrer Hand teile ich vorderhand mit, daß es mir ganz gut geht, nur die Sehnsucht nach der Heimat und den dort verbliebenen groß ist: von den "Männern" aus Wien vermisse ich vor allem Kammerer und Sperber. Hier bin ich ja mit meinen sozialistischen Ansichten isoliert (höchstens der Mathematiker Hahn leistet mir Sekundantendienste). Im übrigen habe ich den Zankteufel zurückgestellt.
Der "F.u.F."-Rezension habe ich eine Antikritik gegenübergestellt. Ich bin neugierig, was Sie dazu sagen. Meine zahlreichen Gegner, Neider, Widersacher haben aus Ihrer Abhandlung nur das gegen mich Gerichtete gelesen und ein Grinsen der Befriedigung ist in ihren geistigen Physiognomien zu lesen.
Das Alleinsein – M-Ls. sind auf einer Osterreise – ist quälend. Bis jó reggelt kann man ja doch nicht arbeiten! Was aber tun, wenn man müde ist? Klavierspielen! Aber ohne Zuhörer? Es bleibt nichts übrig als zu heiraten. Das werde ich wohl nächstens besorgen müssen.
Mein Pessimismus in Bezug auf irgend ein Vorwärtskommen ist nicht gesunken. Ich werde eben immer übergangen werden, weil ich nicht "wissenschaftlich" genug bin etc. – Menschsein und Widerspruchsvollsein ist in unseren Kreisen nicht beliebt. Nächstdem wird Göttingen frei.
|2|Dürfte ich Sie bitten, Herrn Prof. Simonyi, dem man von hier aus nicht schreiben kann, diese Karte wegen folgender Bemerkung einzusenden: ung. leczke vergleiche ich mit oberaldisch lezka, engad. lezća. Das Salvioni Ztschr.f.rom.Phil. 34, 393 auf lat. lectio (Nomin.) mit ähnlicher Umstellung kz > zk zurückführt.
Ich bin allerdings nicht imstande, nachzusehen, ob in M-Nyr. schon über den Grund des -e und überhaupt über das Wort gehandelt ist.
Ergebenste Grüße
Spitzer
Dr. Leo Spitzer Coburgerstr. 4
ab 4. Mai: Lessingstr. 21