Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (186-10945)

von Leo Spitzer

an Hugo Schuchardt

Wien

23. 02. 1919

language Deutsch

Schlagwörter: language Spanisch Schopenhauer, Arthur Richter, Elise Kraus, Karl Wien Schuchardt, Hugo (1919) Spitzer, Leo (1918)

Zitiervorschlag: Leo Spitzer an Hugo Schuchardt (186-10945). Wien, 23. 02. 1919. Hrsg. von Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1983, abgerufen am 04. 06. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1983.

Printedition: Hurch, Bernhard (2006): Leo Spitzers Briefe an Hugo Schuchardt. Berlin: Walter de Gruyter.


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Wien, 23. II. 19

Verehrter lieber Freund,

Ich habe nun die Rezension gründlich gelesen und finde sie nicht mehr so "vernichtend" wie zuerst, aber immerhin fällt nun genug Unangenehmes für mich ab.

Zwischen Fremdwörterhatz u. Fremdvölkerhaß ist kein notwendiger Zusammenhang – gewiß, wer weiß das besser als ich, der ich maßvoller Fw.-Tilgung in der Arbeit nicht widerspreche. Es handelt sich um den Zusammenhang, der tatsächlich im Wirken des Sprachvereins vorhanden ist. Sie zerschneiden in Wirklichkeit das Tischtuch weniger mit mir als mit den anderen, wie aus Ihren eigenen Ausführungen (z.B. über Gentleman, interessant, die sich mit den meinen decken) hervorgeht – obwohl Sie sich ausdrücklich als Mitglied nicht des Spitzer – sondern des Sprachvereines "bekennen". D.h. Sie sind sachlich viel mehr auf meiner Seite, wollen aber "Mitglied" des Sprachvereins bleiben. Sie danken ihm zum Schluß für die vielen Anregungen "sei es auch zum Widerspruch" – warum nicht auch "sei es auch..." dem Spitzer? Weil er der Angreifer der Sprv. ist? Aber dieser greift ja auch an? Und der Spitzer steht doch ganz arm und verlassen da, ohne Organisation, nur mit als ein paar vereinzelten Gesinnungsgenossen – |2|vor allem stand er so da zur Zeit des noch herrschenden Ludendorffgeistes, wo ihm die Schrift ein halbes Jahr Garnisonsarrest hätte eintragen können (besonders die Stelle über die Kriegsberichte und die Schweizer Artikel). Für die Gesinnungstat findet sich nirgendwo eine Anerkennung – als in dem "suspekten" neutralen Ausland. Ferner handelt es sich doch um die Frage: ist es mir gelungen nachzuweisen, daß bei vielen Fremdwörterhetzern Fremdvölkerhaß vorliegt, oder nicht? Die Verschiebung der Frage zu der anderen, ob die beiden zusammen vorkommen müssen, lenkt von meinem Thema ab. Die ganze Belegfülle, die ich für meine These bringe, haben Sie übergangen.

[Teil im Original entfernt]

seit langem das erstere sehr oft (und habe die […] von gravitätisch, majestätisch irgendwo verfochten. Ihre Erörterung über Kladde – Strazze deckt sich genau mit der meinigen über Tunke – Sauce (ich weiß sehr wohl, daß das Wort nicht bloß wienerisch ist – aber ich mußte hier eine Mundart und zwar die der Stadt, für die ich schrieb, herausgreifen). Die Wörter zweier Sprachen decken sich nicht "vgl. hier 1918, 285" – auch Spitzer hat im A.-Ch. nach Schopenhauer das gelehrt. Was Sie über mystifizieren sagen, sage ich von simplifizieren u.a.

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Ich habe nur die Beräucherung des Wortes "Mobilmachung" den Spv., nicht dessen Schöpfung vorgeworfen. Die Argumentation über die Fremdwörter im Wallenstein deckt sich mit der meinen über die Fremdwörter in El. Richters Faust-Parodie. Das über die deutsche Schrift ist auch bei mir erwähnt. Ich scheine nicht zu wissen, daß man auch als "Mitglied" das Annexionsprogramm des Dtsch. Sprv. nicht mitmachen muß? O ja, nur sehe ich in dieser Ztschr. beide Gedankengänge fortwährend vermischt: Eindeutschen, Großdeutsche! Das ist ihr Wahlspruch, ihn habe ich bekämpft.

Ihre Abhandlung ist so der beste Beweis, wie notwendig es war, gegen den Sprv. zu Felde zu ziehen – ich bin so frei, mich als Ihren Vorläufer zu erklären, wenn Sie Spitzers Jugendweisheit nicht als πρόγονος (stilistische Abwechslung!) verschmähen! Der Leser Ihrer Rez. wird allerdings glauben, Spitzer habe die elementarsten Dinge mißkannt, der Strudel- und Wuschelkopf, der ...

Warum Ihr Barcelonaer, barcelonasch nicht durchdringt und der romanische Karneval auf deutschem Boden weitertobt? Weil der Deutlichkeit die Lautgewohnheiten und Lautfolgegewohnheiten des Deutschen entgegenwirken (Hiatus, – asch-Silbe!). Japanese wurde urspr. gebildet, als dieses gelbe Volk nur als 2. Auflage der Chinesen galt. Nun es eine individuelle Persönlichkeit vor uns entwickelt, bedarf es nicht mehr der analogischen Endungsstütze. Albanisch geht mehr auf die Dinge, albanesisch mehr auf die Sprache. – "Gebrauchstiefe" Sp. 12 ist mir nicht klar – zu Grand, das im Sprachgefühl tatsächlich mit sp. grande verbunden wird, vgl. das in meiner Dissertation erwähnte Nestroy-Wortspiel. – Ihre Auffassung von alpári ist zweifellos richtig. – Sie haben nicht bestritten, daß der Affekt tatsächlich sehr oft bei der Entlehnung mitwirkt. – Interessant gilt bei uns in Wien als Kennzeichen der Geschäftsjuden (vgl. K. Kraus, nicht den Akademiker!)

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Die Druckfehlerflohhatz fortsetzend, beanstande ich den Beistrich in Z.15 v.u. der Sp.18, ferner das deutsche e in Universitäts-Buch[h]andlung. – Die Anregung habe ich nicht von Landauer empfangen. Wie Sie wissen, las ich, als ich 1916 an Lungenentzündung 2 Monate darniederlag, viel Kriegsliteratur, und dies brachte eine solche Wut in mir zustande, daß ich ein Riesenwerk "Krieg und Sprache" kompilierte, das aus verschiedenen Gründen, vor allem meiner Eigenschaft als Militär und dem Widerstreben der Schweizer Verleger, nicht zum Druck gelangte. Aus diesem Buch löste ich die verschiedenen Kriegsaufsätze, den Anti-Ch., den Anti-Sprachv. und noch einige Antis und Enten los.

[Teil im Original entfernt]

Ich bin mir bewußt: meine Arbeit war ein "Exzeß" (ein über das Maß Hinausgehen). Warum hemmen aber gerade Sie, der Inbegriff des wissenschaftlichen Individualismus, den Überschwang im Namen einer talmi-goldenen Mittelstraße?

Rätsel der Rätsel, Sesam der Sesame!

Ich hoffe, daß Sie von den Grazer Dingen nicht heimgesucht werden, und mein innigster Wunsch gilt der Erhaltung Ihrer für uns so kostbaren Persönlichkeit.

Ihr altergebener

Spitzer

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 10945)