Hugo Schuchardt Archiv

Warschau, 14. XI. 1922

Hochgeehrter und lieber Herr Kollege,

Soeben erhalte ich Ihre geistreiche und höchst interessante Arbeit „Sprachliche Beziehung“,¹ wofür ich Ihnen meinen innigsten Dank ausspreche. Ich bewundere die Frische Ihres Gedankens und die Fähigkeit, mit welcher Sie die grundlegendsten und allgemeinsten Fragen unserer Wissenschaft fortwährend berühren. Ihre Schlußworte, mit welchen Sie in sehr feiner und gemäßigter Weise die törichten Auslassungen einiger sonst viel verdienter französischer Gelehrten über die deutschen Fachgenossen brandmarken, haben mir eine wahre Freude bereitet. Der dumme Chauvinismus ist wohl in unserer Wissenschaft am wenigsten zulässig.

Durch die Erlebnisse der letzten Jahre, infolge des Verlustes aller meiner imlaufe meines ganzen Lebens gesammelten Materialien, die in Petersburg sammt meinem sonstigen Eigentum (incl. Bibliothek) teils geraubt, teils vernichtet worden sind, ist meine wissenschaftliche Tätigkeit fast vollständig gelähmt. Ich erwarte mit Ungeduld das absolute Ende meiner elenden Existenz. Vor kurzem ist mein Büchlein „Zarys historji języka polskiego“² (Eine Skizze der Geschichte der polnischen Sprache) |2|erschienen.Ich ließ ein Exemplar Ihnen zuschicken. Hoffentlich haben Sie es schon erhalten. Sonst will ich die Verlagsbuchhandlung nochmals daran erinnern. Ich selbst bin mit diesem Elaborat nichts weniger als zufrieden.

Mit den besten Grüßen und herzlichen Glückwünschen

Ihr ergebenster

JBaudouin