Jan Baudouin de Courtenay an Hugo Schuchardt (62-00605)

von Jan Baudouin de Courtenay

an Hugo Schuchardt

Krakau

12. 02. 1904

language Deutsch

Schlagwörter: Universitätsbibliothek Graz Sprachwissenschaftlanguage Abchasisch Salemann, Carl Gustav Hermann Meringer, Rudolf Meringer, Rudolf (1904) Estaf’ev, N. P. (1903)

Zitiervorschlag: Jan Baudouin de Courtenay an Hugo Schuchardt (62-00605). Krakau, 12. 02. 1904. Hrsg. von Wolfgang Eismann und Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1889, abgerufen am 21. 09. 2023. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1889.

Printedition:


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Petersburg, 30.I / 12 II 1904
Могилевская ул., N 23, кв 10.
(Mogilewskaja)

Hochgeehrter Herr Kollege!

Noch im September versprach mir Salemann an Sie zu schreiben und sich wegen jener grusinischen Handschrift zu entschuldigen. Leider hat er das nicht gethan, und als ich ihn jetzt, infolge Ihres letzten Briefe[s] vom 29 Jänner, interpelliert hatte, erklärte er sich als einen sehr faulen Korrespondenten, was gewiß nicht zu leugnen ist. Jetzt versprach er es endlich zu verwirklichen? Vielleicht wieder nur ein leeres Versprechen! 1 Auf jeden Fall teile ich Ihnen mit, was mir Sale|2|mann gesagt hat. Die erwähnte Hds. (von Džanašwili) dürfe nicht ausgeliehen werden, da Sie der Akademie zum Drucken privatim übergeben wurde. Es sei also ein Privateigentum, über welches zu verfügten Salemann nicht befugt sei. Uebrigens soll diese Hds bloß über das Verhältnis des Abchasischen zum Georgisch-Mingrelischen handeln, also nicht dasjenige enthalten, was Sie eben meinen.

Für die Zusendung Ihres Berichtes über die internationale Hilfssprache besten Dank. Ich will denselben meinen hiesigen Schülern (zwei bei mir den Rig-Veda und die allgemeine Sprachwissenschaft studirenden Spezialisten: einer ist Germanist, der andere Sprachforscher im allgemeinen) bei der nächsten Gelegenheit vorlesen. Ebenso bitte ich Sie, |3|dem Kollegen Meringer2 für sein geistreiches Feuilleton in meinem Namen bestens zu danken. Dieses Feuilleton haben wir schon mit wahrem Genuß gelesen (d.h. ich und meine Schüler). Ich stimme meistens Meringer bei, obgleich ich hie und da etwas einzuwenden hätte. Er ist meiner Meinung nach zu einseitig, wenn er alle sprachlichen Wandlungen mit der Mode identifiziert und mit dem Nachahmungstrieb erklärt. Die Sache sieht nicht so verflucht einfach aus.

Habe ich Ihnen das unter meiner Redaktion erschienene Buch (Н. П. Евстафьевъ. Къ вопросу о международномъ языкъ. СПб. 1903) zugeschickt? 3 Jedenfalls wollte ich es thun.

Mit kollegialem Gruß

Ihr ergebenster

JBaudouin de Courtenay


1 Von Carl Gustav Hermann Salemann liegen im Schuchardt-Nachlass der Universitätsbibliothek Graz lediglich vier Briefe aus der Zeit Dezember 1896 bis Feber 1897.

2 Es ist nicht mit Sicherheit auszumachen, um welche Schrift es sich handelt, wahrscheinlich aber um einen Sonderdruck von: Meringer, Rudolf. 1904. ‚Wörter und Sachen‘. In Indogermanische Forschungen 16: 101-196.

3 Estaf’ev, N. P. 1903. K voprosu o meždunarodnom jazyke. Pod redakciej I. A. B. de Kurtenė. St. Peterburg: s.n.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 00605)