Hugo Schuchardt an Jan Baudouin de Courtenay (61-356)

von Hugo Schuchardt

an Jan Baudouin de Courtenay

Graz

24. 01. 1904

language Deutsch

Schlagwörter: language Russischlanguage Georgisch Meringer, Rudolf Salemann, Carl Gustav Hermann Radloff, [Wilhelm Friedrich] Tsagareli, Alexander Tiflis Schuchardt, Hugo (1904) OCLC, (2010)

Zitiervorschlag: Hugo Schuchardt an Jan Baudouin de Courtenay (61-356). Graz, 24. 01. 1904. Hrsg. von Wolfgang Eismann und Bernhard Hurch (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1887, abgerufen am 28. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1887.


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Graz, 24 Jänner 1904.

Hochgeehrter Herr Kollege,

Wenn ich Ihre freundlichen Zusendungen so selten erwidere, so liegt das hauptsächlich daran dass meine Arbeiten sich mit romanischen Spezialitäten zu beschäftigen pflegen und dass es für Sie gar zu mühselig wäre die prinzipiellen Erörterungen die ich meistens hineinwebe, herauszuwickeln. Heute sende ich Ihnen etwas von ganz allgemeinem Inhalt, dafür werden Sie kaum etwas Neues darin finden: einen Bericht über die internationale Hilfssprache. 1 Zu gleicher Zeit werden Sie von Meringer ein Feuilleton über Nachahmung in der Sprache |2|erhalten. Sie werden sehen dass wir in dieser Beziehung beide miteinander übereinstimmen. Bei dieser Gelegenheit erlaube ich mir nun eine Bitte sehr eigener Art an Sie zu richten; und zwar wage ich es gar nicht diese Bitte in die selbe Form zu kleiden, die ich ihr Andern gegenüber – und immer vergeblich – gegeben habe, nein ich ersuche nur um einen ganz allgemeinen Aufschluss, gleichsam einen völkerpsychologischen. Vor längerer Zeit entlieh ich aus dem Asiat. Mus. eine georgische Hds. neuerer Zeit; Karl Salemann erwies sich mir dabei sehr liebenswürdig und stellte mir eine andere Hds., für die ich mich interessierte (russ. geschriebene Gramm. des Georg. von dem noch in Tiflis lebenden Džanašwili2) zur Verfügung. Mitte 1902 ersuchte ich ihn darum und schrieb ihm bis Mitte 1903 mehrmals deswegen, liess ihn auch durch einen gemeinsamen |3|Bekannten auf dem Hamburger Orientalistenkongress daran erinnern – Alles ohne nur eine Zeile Antwort zu erhalten. Da mir das sehr wunderbar vorkam, und ich befürchtete, Salemann könnte mir etwas übel genommen haben (in Folge irgendeines Missverständnisses), so berührte ich zunächst Rosen3 gegenüber die Sache, richtete dann an Radloff Mitte 1903 einen ausführlichen Brief (rekommandiert), darüber, und ersuchte endlich Marr, mit dem ich in vorübergehendem Briefwechsel gestanden hatte, in dringender Weise mir irgend eine Auskunft zu verschaffen. Alles ohne Erfolg! Ja ich gewinne den Eindruck als ob man, wenn man früher mit mir Beziehungen gehabt hatte, diese darauf hin abzubrechen geneigt wäre. Alles das ist mir verdriesslich, nicht bloss weil ich mit den Petersburgern behufs meiner wissenschaftlichen Interessen auf gutem Fusse zu stehen |4|wünsche, sondern weil mich Unklarheiten im Leben ebenso wie in der Wissenschaft beunruhigen, ja quälen. Sind Sie im Stande mir irgendeinen Schlüssel zur Lösung des Rätsels zu geben? Sie kennen ja auch die Petersburger Gepflogenheiten und Anschauungen gut genug. Ich bemerke nаch dass von Petersburgern ich nur Sie und Tsagarelipersönlich kenne. – Sie würden mich sehr verbinden wenn Sie bald nach Empfang dieses Briefes mir wenigstens eine Karte zukommen liessen

Mit kollegialem Gruss

Ihr ganz ergebener

HSchuchardt


1 Schuchardt, Hugo. 1904. 'Bericht über die auf Schaffung einer künstlichen internationalen Hilfssprache gerichtete Bewegung'. In Almanach der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften 54: 281-296. (Brevier-/Archivnr.455)

2 Mosė Džanašvili (1855-1934) gab eine Reihe altgeorgischer Schriftdenkmäler heraus und u.a. ein Lehrbuch zur Geschichte Georgiens.

3 Viktor Romanovič Rosen (1849 in Tallinn-1908 in St. Petersburg) war ein Russischer Orientalist und Arabist. (vgl. OCLC (ed.). 2010. Worldcat, Identities. Dublin, OH USA. s.v. Rozen.). Es befindet sich ein Brief von Rosen im Nachlass Hugo Schuchardts, er stammt aus dem Jahr 1902. ( Bibl. Nr. 09758)

Faksimiles: Die Publikation der vorliegenden Materialien im „Hugo Schuchardt Archiv” erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Archiv der Petersburger Akademie der Wissenschaften. (Sig. 356)