Franz Misteli an Hugo Schuchardt (02-07393)

von Franz Misteli

an Hugo Schuchardt

Basel

25. 07. 1897

language Deutsch

Schlagwörter: Biographisches Universität Basel Publikationsversand Schuchardt, Hugo (1897)

Zitiervorschlag: Franz Misteli an Hugo Schuchardt (02-07393). Basel, 25. 07. 1897. Hrsg. von Maria Schauer und Johannes Mücke (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1837, abgerufen am 16. 04. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1837.


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Basel 25 July 97.1
4, Augustinergasse.
Herrn Prof. H. Schuchardt
Graz.

Hochgeehrter Herr!

Den Aufsatz, welchen Sie die Güte hatten meinem Gatten zu übersenden,2 haben wir vorgefunden als wir von einer längeren Badekur aus Baden in der Schweiz heimkehrten.

Ich muss Ihnen leider mittheilen daß mein armer Gemahl im verflossenen November plötzlich einen Schlaganfall erlitt, welcher ihn theilweise lähmte u der |2|Sprache vollständig beraubte.

Wochenlang schwebte er in Todesgefahr u als endlich nach u nach sein Zustand sich klärte, verblieb noch so viel Trauriges daß ich voll Sorgen der Zukunft entgegensehe. Geistig hätte er nichts verloren resp. eingebüßt wenn nicht eben das Sprachvermögen hartnäckig ausbliebe u mit diesem auch die Fähigkeit schriftlich sich auszudrücken. Es sind nun acht Monate vorüber u jemehr [sic] die Zeit vorübergeht desto schlimmer steht es mit der Aussicht auf Besserung. Er leidet |3|furchtbar unter diesem Schicksal. Alles ist ihm entzogen was er liebte: das arbeiten, das gehen; denn auch mit dem letzteren steht es bedenklich. Er kommt nur langsam vorwärts u nur mit meiner Unterstützung u weiter als bis zum Münster dürfen wir nicht wagen zu gehen.

Es soll wohl Fälle geben welche nach langer Zeit sich wieder ausheilen – ausgleichen. Körperlich ist er ja ganz gesund. Aber eine Partie des Hirns wird eben durch diesen Blutaustritt zerstört sein. Man wird nun wohl oder übel in nächster Zeit mir die Frage der |4|Demission3 nahe legen. Ein schrecklich schwerer Schritt! Eine schwere sorgenvolle Zukunft für uns Beide!

Ich habe oft Ihren Namen gehört u ich denke diese Nachricht wird Sie sehr betrüben u Sie werden Antheil nehmen an diesem furchtbaren Schicksal das meinen armen Gatten betroffen.

In nächster Zeit werden wir noch einen Badort besuchen der Soolbäder wegen.

Empfangen Sie, geehrter Herr, Dank u Gruss von m. lb. Gemahl in dessen Namen ergebenst zeichnet
Frau Prof. Dr. Franz Misteli.


1 Der Brief wurde von Franz Mistelis Frau in dessen Namen verfasst und wird hier nur der Übersichtlichkeit halber als Brief Mistelis an Schuchardt behandelt. Im Historischen Lexikon der Schweiz wird im Artikel über Misteli nur ihr Name genannt, dieser war Katharina Louise (geb.) Schneider (Buhofer 1998-2014).

2 Vermutlich handelt es sich um Romanische Etymologieen. I (Schuchardt 1897), den umfangsreichsten Aufsatz Schuchardts in diesem Jahr. Er wurde auch als Separatabdruck publiziert.

3 1898 trat Misteli als Professor an der Lehrstelle für vergleichende Sprachwissenschaft an der Universität Basel zurück (Buhofer 1998-2014).

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 07393)