Jan Baudouin de Courtenay an Hugo Schuchardt (27-00591) Jan Baudouin de Courtenay Wolfgang Eismann Bernhard Hurch Institut für Sprachwissenschaft, Karl-Franzens-Universität Graz Zentrum für Informationsmodellierung - Austrian Centre for Digital Humanities, Karl-Franzens-Universität Graz GAMS - Geisteswissenschaftliches Asset Management System Creative Commons BY-NC 4.0 2022 Graz o:hsa.letter.1825 27-00591 Hugo Schuchardt Archiv Herausgeber Bernhard Hurch Karl-Franzens-Universität Graz Österreich Steiermark Graz Karl-Franzens-Universität Graz Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen 00591 Jan Baudouin de Courtenay Papier Brief 6 Seiten Dorpat 1886-05-12 Hugo Schuchardts wissenschaftlicher Nachlass (Bibliothek, Werkmanuskripte und wissenschaftliche Korrespondenz) kam nach seinem Tod 1927 laut Verfügung in seinem Testament als Geschenk an die UB Graz. Wolfgang Eismann Bernhard Hurch 2008 Jan Baudouin de Courtenay - Hugo Schuchardt. Korrespondenz Heidelberg Universitätsverlag Winter Wolfgang Eismann Bernhard Hurch 2014 Die Korrespondenz zwischen Jan Baudouin de Courtenay und Hugo Schuchardt Hugo Schuchardt Archiv Bernhard Hurch

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Hugo Schuchardt Archiv

Das Hugo Schuchardt Archiv widmet sich der Aufarbeitung des Gesamtwerks und des Nachlasses von Hugo Schuchardt (1842-1927). Die Onlinepräsentation stellt alle Schriften sowie eine umfangreiche Sekundärbibliografie zur Verfügung. Die Bearbeitung des Nachlasses legt besonderes Augenmerk auf die Erschließung der Korrespondenz, die zu großen Teilen bereits ediert vorliegt, und der Werkmanuskripte.

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Jan Baudouin de Courtenay Dorpat 1886-05-12 Hugo Schuchardt Estonia Tartu Tartu 26.72509,58.38062 Korrespondenz Jan Baudouin de Courtenay - Hugo Schuchardt Korrespondenz Rossijskaja Akademija Nauk (St. Petersburg) Rumänisch Slawische Sprachen Bulgarisch Russisch Polnisch Tschechisch Slowenisch Serbisch Ukrainisch Ungarisch Altkirchenslawisch Wissenschaft Sprachwissenschaft Brief Deutsch
Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/
Dorpat, 12 Mai 1886. Verehrtester Herr Kollege!

Gestern habe ich Ihren Brief vom 6 Mai erhalten.

Jagić’s Berufung war eigentlich noch nicht entschieden, sondern sie schwebte in der Luft. Jagić hat eine zuwartende Stellung eingenommen, wahrscheinlich um in Petersburg eine Pension auszudienen (man hat ihm ja in Russland alle seine österreichischen, d.h. ungarischen, und preussischen Dienstjahre angerechnet). Erst die Zeitungennachricht von meiner vermeintlichen Berufung soll die Sache beschleunigt haben. So wenigstens erfahre ich von verschiedenen Seiten, aus Wien, wie auch aus Petersburg. – Uebrigens hat J. kein schlechtes Geschäft gemacht. Obgleich er in Russland nicht einmal acht (8) Jahre gedient hat, wird er trotzdem die volle Pension, 3000 Rubel, bekommen, was man sich, nach dem neuen Statute, erst nach 30 Jahren ausdient. (NB. Dieses neue Statut findet keine Anwendung auf Dorpat: hier bekommt man nach 25 Jahren 1400 Rubel, nach 30 um 1/5 mehr). – Aber genug davon. Nach dem geschäftlichen muss jetzt das Vergnügen kommen.

Der Weg nach Petersburg ist für mich für immer gesperrt, schon deswegen, weil ich ein Pole bin. Ausserdem haben die Russen einige Slavisten, welche keineswegs niedriger und vielleicht selbst bedeutend höher als ich in wissenschaftlicher Hinsicht stehen, welche aber dazu noch den Vortheil haben, dass sie entweder geborene Russen sind, oder sich als Russen bekennen und im russischen Ultrapatriotismus und Chauvinismus machen,– ein Talent, welcher mir vollkommen abgeht.

In der kračun-Frage kann ich leider wenig positives mehr sagen. – Es ist mir nicht klar, welchen Laut das ъ im rumän. кръчун bezeichnet (bedeutet). Ist das ein wirklicher besonderer Vokal od. nur das Zeichen, dass r silbebildend ist? Soviel ich weiss, wird rum. ъ als ein „dumpfer“ Vokal ausgesprochen, etwa in der Weise, wie das bulgarische ъ, resp. ѫ. – Wenn man aber sonst eine Entlehnung aus dem Rum. ins Slav. annimmt, so ist damit noch nicht ausgemacht, in welchem Stadium sich das rumänische Wort zu jener Zeit fand: es wurden dann vielleicht nach dem r ein mehr a-ähnlicher Vokal ausgesprochen. – Es muss auch das dialektische auf dem rum. Gebiete berücksichtigt werden. – Miklosich’s кръчоуна, кръчоунъ ist aus Gram. hergenommen, Miklosich, Franz. 1852-1874. Vergleichende Grammatik der slavischen Sprachen. 4 Bände. Wien: Braumüller. ( Bd.1, 1852 , Bd.2, 1875 , Bd.3, 1856 , Bd.4 1868-1874 ). Dieses Werk wurde mehrmals neu aufgelegt. d.i. aus einem Werke, wo die späteren bulgarisch und selbst rumänisch gefärbten Urkunden abgedruckt wurden. Es können also diese кръчоуна u. кръчоунъ ausgezeichnet weiter nichts, als spätere bulgarische Modificationen der alten крaчоун- sein, aus welchen aber kein крачоун- mehr entstehen konnte (wenigstens nicht dieses крачоун-, um welches es sich hier handelt). Man hat wohl eine (oder selbst 2) slav. „Wurzel“ kr̻°k || kr̻°č (russ. корчить , poln. kurcz, kurczyć …, poln. kark , čech. krk …, sloven. krčiti, krč …, serb кр́чун…); diese aber scheinen nichts mit кръчун- zu thun [zu] haben. – Das dialektologische muss auch beim klruss. kerečunj berücksichtigt werden. Woher Mikl. dieses Wort hergenommen hat, weiss ich nicht. Im klruss.-deutschen Wbche von Żelechowski Żelechovskij, Jevhen. 1882. Ruthenisch-deutsches Wörterbuch, Bd. 1. L’viv: s.n. ; Vol. 2 zus. mit S. Nedil’s’kyj. 1886. L’viv: s.n. (ND in drei Teilen durch O. Horbatsch, München 1982 als Ukrainisch-deutsches Wörterbuch I-II, Lemberg 1882/86 ). finde ich es nicht. Es muss also wahrscheinlich „dialektisch“ sein, vielleicht den ungarischen Kleinrussen eigen. Dann könnte es vielleicht eine einfache halb-Uebersetzung halb-Entlehnung des ungar. karácson-este (Weihnachtsabend) sein. – Aus einem echtslav. kračun = karčun (resp. korčun) lässt sich klruss. kerečunj keineswegs erklären. Es könnte nur koročunj heissen. Ueberhaupt ist eine Form, wie kerečunj, in klruss. nur als Entlehnung, und zwar ziemlich späte Entlehnung, möglich. Es ist vielleicht wieder eine dialektologische Eigenthümlichkeit, entweder des klruss. Dialektes, wo dieses Wort am ersten auftauchte, oder wieder des magyar. engeren Gebietes, von welchem dieses Wort zu den Kleinrussen hinüberwanderte.

Das in Ihrem Briefe im PS. niedergeschriebene „- ь = -jь“ muss ein Schreibfehler sein. Ich kann mich wenigstens darin nicht zurechtfinden. Handelt es sich etwa um die Palatalisirung auslautender Consonanten unter dem Einflusse eines früher existirt habenden nicht-silbebildenden i-Elementes (j) (Ci̯ (Cj) –> Cj:

li̯ –> lj; ti̯ –> { akrsl. št, russ. č, serb. ħ (ć), poln. c…. u.s.w.) ?

So wurden früher u.a. adjectiva possessiva in allen slavischen Gebieten gebildet, also auch auf dem klruss. Gebiete. Solche Adjectiva haben sich vorzugsweise in den Ortsnamen (bewahrt) erhalten: Peremyśl’ (Przemyśl), Jaroslavl’ , Samborz , Radom’ ….. Ein späterer Equivalent dieser Bildung ist die Bildung der adjectiva possessiva mit Hilfe der Suffixe -ov-, -īn-, - ĭsk-. – Ich weiss nicht, ob ich mich genug klar ausdrücke.

Gestern habe ich an die Petersburger Akademie meine resianischen Texte spedirt. Sie sollen zugleich mit Uebersetzung erscheinen. Es wird daraus ein ziemlich starker Band, etwa 300-400 Seiten, werden. Der 2e u. 3e Band sollen den anderen Slaven Norditaliens gewidmet werden.

Mit herzlichsten Grüssen Ihr ergebenster JBaudouin