Albert Ludwig an Hugo Schuchardt (01-06663)

von Albert Ludwig

an Hugo Schuchardt

Unbekannt

1904

language Deutsch

Schlagwörter: Reflexion über Wissenschaftskommunikation Wissenschaftliche Akademien Zeitschriften Publikationswesen Publikationssprachelanguage Plansprachenlanguage Volapüklanguage Esperantolanguage Langue bleue (Bolak)language Lateinlanguage Griechisch

Zitiervorschlag: Albert Ludwig an Hugo Schuchardt (01-06663). Unbekannt, 1904. Hrsg. von Pierre Swiggers und Herman Seldeslachts (2014). In: Bernhard Hurch (Hrsg.): Hugo Schuchardt Archiv. Online unter https://gams.uni-graz.at/o:hsa.letter.1774, abgerufen am 29. 03. 2024. Handle: hdl.handle.net/11471/518.10.1.1774.

Printedition: Swiggers, Pierre; Seldeslachts, Herman (1998): Die Auseinandersetzung zwischen Albert Ludwig und Hugo Schuchardt hinsichtlich der Schaffung einer künstlichen internationalen Hilfssprache. In: Orbis. Bd. 40., S. 185-190.


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Hochgeehrter Herr Collega1

Ich habe Ihren Bericht über die auf Schaffung einer künstlichen internationalen Hilfssprache gerichtete Bewegung mit grösztem interesse gelesen, und stimme Ihnen in allen theoretischen puncten vollkomen [sic] bei. Nur möchte ich mir zu disem gegenstande einige bemerkungen erlauben. Die schwirigkeit ligt natürlich nicht darin eine sprache zu construieren, disz läszt sich der manichfaltigsten weise durch füren; sondern darin einer solchen zur allgemeinen anname zu verhelfen. Denn |2| da die möglichkeiten, man kann wol sagen, an zal unendlich sind, und wenn man einmal ernstlich an die vereinte lösung der aufgabe gienge, erst eine verständigung über zalreiche praeliminaere principielle fragen vorauszgehn müszte, bei welcher schwerlich eine einstimmigkeit zu erreichen sein wird, so kann man darauf gefaszt sein, was Sie selbst ganz richtig in auszsicht stellen, dasz weit eher merere sprachen als eine einzelne zu stande komen [sic] werden. Disz käme aber doch, wie mir scheint, einem scheitern des ganzen planes gleich.

Ein weiterer, ser erheblicher miszstand |3| scheint mir zu sein, dasz dises neu geschaffene vehikel des verständnisses doch nur ein notbehelf (etwa auf internationalen congressen) sein soll; sollen also z.b. von den Akademieschriften auszzüge darin publiciert werden? Damit wäre der nutzen der neuen sprache auf ein zimlich tiefes niveau herabgedrückt, und das miszverhältnis zwischen der grösze der aufgabe ein solches allgemeines organ zu schaffen, sowie andererseits sich dasselbe zu leichter beherschung anzueignen, und der wirklichen verwendung desselben würde ein ser, ein allzu bedeutendes sein.

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Es ist sicherlich nicht zu erwarten, dasz je die eng. franz. it. deutschen russischen Akademien ihre schriften im Volapük oder im Esperanto oder in der Langue bleue veröffentlichen werden. Sie würden es nicht tun, wenn sie dadurch ein sic zehnfach stärkeren absatz für ihre schriften erzilen würden. Einfach deshalb, weil man zunächst für die nächsten schreibt und publiciert, und weil jeder vorauszsetzt, dasz den andern dasselbe motiv bestimmt. Hätte es nicht längst schon nahe gelegen, für alle auf Romanische Germanistische Slavistische Philologie bezüglichen2 Zeitschriften je eine diser sprachen zum vehikel des verständnisses zu |5| wälen? Aber jeder bleibt stehn sulle sue.

Es fragt sich auch, ob die vorteile, welche sich ausz der schaffung einer ganz neuen sprache ergeben, das ungeheure plus an arbeit, welches sich bei solchem vorgange ergibt, aufwiegen; ganz abgesehen davon, dasz die qualität des geschaffenen immer von höchst zweifelhaftem werte sein wird.

Mir will es daher, trotz all den unläugbar nicht ganz wertlosen versuchen einer sprachschaffung, immer noch als das praktischere erscheinen, um der eifersucht der nationen ausz dem wege zu gehn, zu einer toten sprache zuflucht zu nemen, sei es zum Latein oder zum Griechischen, welch letzteres sich durch |6| wortreichtum und biegsamkeit am meisten empfiehlt. Den kleineren Akademien könnte es ja nahe gelegt werden, ihre sachen französisch zu publicieren.

Dagegen für den alltäglichen, den geschäfts- und handelsverker würde eine geschaffene sprache sich ganz gut eignen. Der praktische mensch würde sich vil rascher hineinfinden als wir gelerte; er würde die sprache einfach aufnemen, wärend wir alles mit unserer kritik und analyse, mit unserer verbesserungssucht verderben würden.

Es ist sonderbar, dasz, wo es immer gilt, einen neuen terminus zu schaffen, man |7| zum Griechischen seine zuflucht nimt; es wäre interessant die zal sämmtlicher Griechischer lenwörter und der ausz Griechischen wörtern gebildeten technischen und wissenschaftlichen auszdrücke fest zu stellen. Tatsächlich können wir des Griechischen hiezu nicht entberen, wärend das Latein in diser hinsicht weit zurücksteht.

Die schwirigkeit des Griechischen komt gar nicht in betracht; erstens ist dieselbe nicht so grosz als allgemein behauptet wird, zweitens wird man sich der aufgabe es zu erlernen gegenüber3 ganz anders stellen, sobald disz einen greifbaren Zweck bekömt. Die |8| gröszte schwirigkeit im Griechisch leren, wenigstens, besteht eben darin, dasz die leute nicht begreifen, warum sie es lernen sollen.

Auch fällt bei einer wirklichen sprache die frage nach dem warum weg; die sache ist so, damit punctum. Bei einer geschaffenen sprache würde sich, wie vorsichtig auch zu werke gegangen würde, dise frage doch oft aufdrängen, und unbeantwortet gelassen, missbehagen erwecken.

Ich habe über dise angelegenheit merfach mit einem hiesigen Gym. prof. Dr S. Lederer, der sich vil mit Volapük abgegeben hat gesprochen.

Disz sind gedanken, wie sie mir bei lektüre Ihrer interessanten schrift gekomen sic sind. Mit herzlichem danke

Mit herzlichem danke

hochachtungsvoll Ihr ergebenster

A Ludwig


1 Der Brief wird veröffentlicht mit Erlaubnis von Dr. H. Zotter, Dr. W. Slaje, Mag. Thomas Csanády und Dr. M. Wolf (Schuchardt-Nachlaß, Manuskriptabteilung der Universitätsbibliothek Graz), denen hier herzlichst gedankt sei. Bei der Wiedergabe des Briefes haben wir Ludwigs Rechtschreibung und Interpunktion beibehalten.

2 Vor bezüglichen ist und getilgt.

3 Nach erlernen ist ein Komma getilgt; gegenüber ist über der Zeile geschrieben.

Faksimiles: Universitätsbibliothek Graz Abteilung für Sondersammlungen, Creative commons CC BY-NC https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/ (Sig. 06663)